Liebesraserei im Puppenhaus

■ Zwischen Schwellkörpertrauma, Karma und indischer Zensur: Mira Nairs weisheitslose Ausstattungsfolklore Kama Sutra

Oswalt Kolle auf einem indischen Kostümball ist eine Frau. Ihr Name? Mira Nair. Ihr Anliegen? Zu zeigen, daß Pimpern ohne die Geleitworte des gegenseitigen Respekts und der Anerkennung der weiblichen Selbständigkeit zu schlimmen Dingen führt. Da Frau Nair für ihren Aufklärungsfilm aber lieber den großen Schwulst im Kerzenlicht und nicht das Godesberger Programm der Sexualaufklärung drehen wollte, illustriert sie ihr gesellschaftsthera-peutisches Anliegen auch nicht mit den westlichen Geißeln wie „frühzeitiger Samenerguß“oder „Frigidität“, sondern mit Breitwandtragik im Puppenstubenformat. Große Gefühle aus dem Schauspieler-Seminar über Eifersucht und Liebesraserei bersten aus jeder natürlichen Zurückhaltung und zeigen das menschlich Unzulängliche in den Dimensionen adretter Kleinkariertheit.

Ein Kotzbrocken von Herrscher, ein Dämlack von Tempelstatuen-Michel-angelo und zwei weibliche Schönheiten machen sich in Kama Sutra gegenseitig das Leben mit unmotivierten Handlungen schwer, um am Ende entweder hingerichtet, opiumsüchtig oder alleine zu sein.

Aber weil Kama Sutra ja ein indischer Film ist – dem allerdings die distanziert-sachliche Weisheit des alten Wegführers zum Liebesgenuß völlig fremd bleibt –, ist das alles Karma, durch das die Protagonistinnen und ihre Liebhaber hindurch müssen, um geläutert zu werden – besonders der Künstler-Paparazzo, der vom Elefanten zertreten wird, weil König Raj Singhs Chef-Kurtisane aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen Gefallen an ihm gefunden hat.

Wahrscheinlich hat dieser Leidenschafts-Kitsch als folkloristisches Ausstattungskino in Indien eine ganz andere Wirkung. Schließlich vergaß die böse indische Zensur die lange Tradition der erotischen Theorie und Unbefangenheit, die auf dem Halbkontinent heute leider nur noch schriftlich – etwa im Kamasutra – nachzuweisen ist, und schnitt zwei Minuten „lesbische“Szenen und anderen „sexuellen Sprengstoff“aus dem Film.

Aber die Moral ist ein wandelbares Gut, und was unsere Ritterin für die Rechte der indischen Frau als fundamentale Kritik meinen mag, erscheint hier doch arg bigott. Zumal die neue Selbständigkeit der Heldin keine einzige gesellschaftliche Grenze überschreitet. Ihre selbstgewonnene Freiheit, also die Moral von der Geschicht, bleibt darauf limitiert, am Ende allein den Ort der gegenseitigen Zerstörung zu verlassen. Somit erzählt dieser Film nur von einem erweiterten Spielraum für die Frau als Sklavin und läßt die Tatsache eines gefühlsdummen und gewalttätigen Patriarchats unangetastet.

Deswegen erscheint Kama Sutra streckenweise doch sehr wie ein Josefine Mutzenbacher-Erotikfilm auf indisch, dem allerdings ein wenig mehr Geld für imperiale Nostalgie zur Verfügung stand.

Till Briegleb Abaton, Neues Cinema, Studio