„Eine Versorgungslüge!“

■ Kassenärztliche Vereinigung zementiert psychotherapeutischen Notstand in Bremen

remen im psychotherapeutischen Notstand“– nächsten Mittwoch werden Deutschlands PsychologInnen in Bonn demonstrieren gehen. In Bremen liegt einstweilen die ganze Branche brach. PatientInnen tauchen in monatelangen Warteschleifen ab, erhalten Psychopharmaka, werden stationär statt, wie indiziert, ambulant behandelt oder müssen im elegantesten Fall ihre Therapie zu hundert Prozent selbst bezahlen. (Die taz dokumentierte bereits in der Ausgabe vom 27.1.97 die einschlägige Odyssee einer Bremerin, die im sicheren Hafen der Psychiatrie endete.) In dieser Situation erklärt die Bremer Kassenärztliche Vereinigung (KV): „Die therapeutische Versorgung in Bremen ist gewährleistet, 306 Vertrags-Therapeuten reichen aus.“

Ein Satz, den die KV seit Monaten wiederholt. Versuchen wir also das Portrait eineR VertragstherapeutIn: Sie ist im Normalfall ÄrztIn mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung, die mit den Kassen unter „Vertrag“steht, also auch therapeutische Behandlungen abrechnen kann; theoretisch auf Lebenszeit. „Einmal unter Vertrag, immer unter Vertrag“– da will Klaus Stratmann, stellvertretender KV-Geschäftsführer, überhaupt gar nicht widersprechen. Im Gegenteil. Stoisch wiederholt Stratmann: „Über 300 BehandlerInnen reichen für Bremen aus.“Überprüft worden sei da nie jemand.

Doch selbst vom Medizinischen Dienst war dies angemahnt worden; da könnten ÄrtzInnen dabei sein, die überhaupt nicht mehr praktizieren oder nur eine einzige Psychotherapie durchziehen, nur so zum Spaß. „Auch wer nur einen Patienten hat, wird mitgezählt“, konstatiert hierauf Klaus Stratmann. Das sei aus den Abrechnungen der Vertragsleute ersichtlich und somit gültig. Die Frage nach dem Bedarf sei hier müßig: „Ich kann immer nur die Einwohnerzahl nehmen und an ihr das Behandler-angebot abgleichen.“Bremen habe nach München die bundesweit zweitdichteste Besetzung mit „praktizierenden PsychotherapeutInnen“. Für Klaus Stratmann ein Grund, die Sache rein formal und nicht inhaltlich abzuhandeln.

„Leider aber sind wir mit München nicht vergleichbar“, sagt dazu Joachim Schwarz, Bundesvorstand des Deutschen Psycho-Therapeutenverbandes (DTPV) mit Sitz in Bremen. In München sind viele psychologische PsychotherapeutInnen bereits in der Kassenärztlichen Vereinigung. Das ist nicht so in Bremen. Vielmehr bedroht die Haltung der Bremer KV hier rund 150 Nicht-VertragstherapeutInnen in ihrer Existenz. Bislang hatten sie analog dem Therapie-Bedarf in der Hansestadt – den es offensichtlich gab – die Möglichkeit, auch außervertraglich Kassenleistungen bewilligt zu bekommen. Jetzt sind praktischerweise parallel zu den Sparzwängen der Gesundheitsreform auch die Bedürfnisse der PatientInnen zurückgegangen.

„Das Dumme ist, daß wir als Kasse nicht sehen können, wie lange die Therapie-Wartezeiten sind“, bemängelt jedoch auch Iris Brose, bei der Barmer Ersatzkasse zuständig für Psychotherapie-Leistungen. „Die Mitglieder sollten sich melden!“Iris Brose ist gänzlich unzufrieden mit der Situation, denn obwohl sie die Vermutung hat, daß ohne außervertragliche TherapeutInnen nicht auszukommen ist, fehlen ihr dazu die Beweise. Den Kassen sind seit November '96 hier noch zusätzlich die Hände gebunden worden, als die KV Berater-TherapeutInnen einsetzte, die das Vermittlungsverfahren vereinfachen sollen. Natürlich kooperieren diese in erster Linie wiederum mit den KV-Vertragsleuten und halten de facto die PatientInnen von den Krankenkassen fern.

„Wir machen jetzt unsere eigenen Zählungen“, sagt dazu Klaus Bündler von der Techniker Krankenkasse. „Wir können zwar bislang sehen, daß die Zahl der Therapie-Bewilligungen zurückgegangen ist. Ob aber die Zahl der Vertragsbehandlungen entsprechend zugenommen hat? Da können wir frühestens Mitte Juni ein Statement abgeben.“

Die psychologischen PsychotherapeutInnen sprechen schon jetzt von der „Versorgungslüge“. Die PatientInnen sind aufgerufen, sich auch weiterhin an Nicht-VertragsbehandlerInnen zu wenden. „Wir werden das Dilemma weiter dokumentieren“, so DPTV-Vorstand Schwarz. In Bonn werden die deutschen PsychologInnen auf ihr seit Anfang der Siebziger gefordertes Psychotherapeutengesetz pochen. Und damit auf die Gleichstellung mit den ÄrztInnen. sip