Schröders Solo zum Energiekonsens

■ Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder droht der Bonner SPD mit einem Alleingang. Der Atommüll soll künftig vor allem in Ahaus im rot-grünen Nordrhein-Westfalen zwischengelagert werden

Hannover (taz) – Ministerpräsident Gerhard Schröder hat der Bonner SPD- Spitze einen niedersächsischen Alleingang beim Atomkraft- und Entsorgungskonsens mit der Bundesregierung angedroht. An SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering hat Schröder einen ausformulierten Vorschlag für eine Konsensvereinbarung mit dem Bund gesandt, dem das SPD-Präsidium jetzt zustimmen soll. Das der taz vorliegende achtseitige Papier klammert anders als bisher keine strittigen Punkte mehr aus.

Bislang wollte die SPD sich nur über die Atommüllagerung mit der Bundesregierung verständigen. Die Frage des Ausstiegs aus der Atomkraft sollte nicht behandelt werden.

Das Schrödersche Papier enthält jetzt ein eigenes Kapitel zur Zukunft der Atomkraftwerke. Darin heißt es zwar: „Die SPD hält an ihrem Beschluß zum schnellen Ausstieg aus der Kernenergie fest.“ Konkret sollen jedoch die bestehenden „Kernkraftwerke rechtlich Bestandsschutz genießen“.

– Die Atomaufsichtsbehörden der Länder werden mit Schröders Konsensvorschlag auf „bundesfreundliches Verhalten“, das heißt auf einen Pro-Atom-Kurs festgelegt.

– Und auch die Option auf eine neue Reaktorgeneration hält Schröders Konsensvorschlag letztlich offen.

– Durch Änderung des Atomgesetzes will der Ministerpräsident den privaten Endlagerbetrieb und die Einlagerung von Atommüll in Morsleben auch nach dem Jahr 2000 möglich machen.

– Bei der Änderung des Atomgesetzes soll außerdem das Krümmel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts kassiert werden. Die Richter hatten den Bestandsschutz von Atommeilern mit Hinweis auf Sicherheitsfragen deutlich eingeschränkt.

Unter dem Punkt Zwischenlagerung schließlich hat der niedersächsische Ministerpräsident zusätzlich Sprengsätze für die SPD-interne Diskussion eingebaut.

– Das Schröder-Papier sieht ausdrücklich einen Atommüll-„Transport ex Kernkraftwerk Neckarwestheim Ende 1997/Anfang 1998 nach Ahaus“ vor. Ahaus liegt im rot-grün regierten NRW.

– Weitere Transporte von Atommüll in Zwischenlager sollen bis Ende 1998 „im Einvernehmen mit den Kernkraftwerksbetreiber“ nicht stattfinden.

– Neue Zwischenlager in Süddeutschland sollen erst „ab 2008/2010 verfügbar sein“.

– Da das Zwischenlager Gorleben gleichzeitig „ab sofort“ nur noch für abgebrannte Brennelemente norddeutscher AKW offen sein soll, läuft das Gesamtkonzept auf mehr Atommülltransporte nach Ahaus hinaus.

Ministerpräsident Schröder hält den Vorschlag, der von Beamten in der niedersächsischen Staatskanzlei nach der letzten Konsensrunde erstellt wurde, für „einigungsfähig“ mit der Bundesregierung, rechnet aber aus naheliegenden Gründen mit Widerstand der SPD-Parteispitze.

Für den Fall, daß auch dieser dritte Schrödersche Anlauf zu einem Atommüllkonsens im SPD-Präsidium scheitert, hat der niedersächsische SPD-Landesvorstand deshalb auf Antrag des Ministerpräsidenten einen Alleingang beschlossen. Bereits vor Schröders USA-Reise habe der Landesvorstand „dringlich an das SPD-Präsidium appelliert, das Konsenspapier mitzutragen“, sagte der Vorsitzende der niedersächsischen SPD- Landtagsfraktion, Heiner Aller, gegenüber der taz. Einstimmig habe der Landesvorstand dann beschlossen, bei einer Ablehnung des Papiers in Bonn „die niedersächsischen Interessen in einer bilateralen Vereinbarung mit dem Bund durchzusetzen“.

SPD-Bundesgeschäftsführer Müntefering ist der Konsensvorschlag mit der Schröderschen Bemerkung „Lieber Franz, ich halte dieses Papier für einigungsfähig“, zugegangen. Müntefering, der von dem niedersächsischen Drohbeschluß gehört hat, bestätigte der taz, daß das SPD-Präsidium nach Schröders Rückkehr aus den USA am Samstag über dessen Konsensvorschlag beschließen wird, wollte ihn inhaltlich allerdings nicht bewerten. Für Zündstoff unter den Spitzengenossen ist gesorgt. Jürgen Voges