„Wir haben Haß“

■ Der Tod von Dennis B. zeigt erneut die Misere der Jugendlichen in Huchting

„Heute ist doch die Beerdigung von dem Bengel“, sagt eine alte Dame in der Linie 6 nach Huchting. Ihre Sitznachbarin nickt: „Womöglich sind die wieder am Demonstrieren.“Die – das sind die Huchtinger Jugendlichen. Doch auf der Straße waren sie gestern nicht. Sie standen am Grab ihres Kumpels, Freundes und Mitschülers Dennis B. in Stuhr. An der Endhaltestelle der 6 am „Roland Center“war nur ein Mannschaftswagen der Polizei zu sehen, die Beamten klopften gelangweilt mit den Schlagstöcken auf ihre Handflächen.

260 Meter von hier ist in der Nacht zum 1. Mai der 15jährige Dennis vom Straßenbahnpuffer eines Wagens der Linie 6 gestürzt und dabei tödlich verunglückt. Zehn Jugendliche waren dabei. Kurz nach der Beerdigung saßen gestern ein paar von ihnen in der Eisdiele vom „Roland Center“. „Wir haben Haß“, sagt einer. „Der Tod von Dennis hätte verhindert werden können. Als die Bahn mit ihm hinten drauf plötzlich losfuhr, haben wir einen Busfahrer alarmiert, der sollte den Straßenbahnfahrer anfunken und den zum Anhalten bringen. Das hat der nicht getan!“

Sechs Jungen und ein Mädchen trinken hier ihre Cola – Polen, Türken, ein Afrikaner, Deutsche. Schüler, Azubis, Arbeitslose. Sie sind adrett gekleidet, einer hat ein weißes Hemd an. Die meisten tragen Schwarz. Freunde und Freundinnen kommen und gehen. Ernst werden Hände geschüttelt. „Wir treffen uns hier“, sagt Jörg (die Namen der Jugendlichen sind geändert). „Normalerweise vertreiben uns ja die Blaulinge vom Roland-Center, wenn wir mehr als drei Leute sind.“– „Wir wollen einen Raum zum Abhängen!“ruft Serhad dazwischen. „Dann wär viel geklärt.“

Stattdessen knistert es derzeit wieder einmal im Stadtteil wie kurz vor der Explosion. Am Dienstag demonstrierten die Huchtinger Jugendlichen, zogen zur Unglücksstelle – 260 Meter von der Straßenbahn-Wendeschleife am „Roland-Center“– wo sie Dennis ein Holzkreuz aufgestellt haben. Es ist mittlerweile umlagert von Blumen und Plüschtieren. 250 waren bei der Demo dabei, einige (maskierte) warfen Eier. Hinterher stürmte eine Gruppe den Lidl- und den Schlecker-Markt, warf Regale zu Boden.

„Wir haben nichts gemacht, das waren die“, sagt Ali jetzt vor seiner Fanta. „Wir haben gesagt, keine Randale!“(Serhad) Die hätten sich verselbständigt, da könne man nichts machen. „Natürlich machen wir auch Scheiße – im Bus zum Beispiel, weil wir Langeweile haben.“– „Es gibt immer Terz, egal wo wir sind“, reden wie auf Knopfdruck alle durcheinander. „Niemand kümmert sich um die Jugendlichen von Huchting, das war bei meinem Bruder auch schon so!“– „In Woltmershausen gibt es drei Freizis!“– „In Stuhr haben die Computer!“

Ins Jugendfreizeitheim in der Obervielander Straße dürfen diese Jugendlichen nur in Begleitung der StreetworkerIn, einmal die Woche. Dito ins „Jugendzentrum“im Alten Ortsamt, wo Konzerte stattfinden und Filme laufen. Mehr Treffpunkte gibt es nicht für 1.800 HuchtingerInnen zwischen 12 und 18 Jahren. Und an der Tür am Freizi hängt ein Schild: „Wegen Krankheit ist vom 28. April bis 23. Mai nur abends geöffnet.“

Dort ist seit August '96 eine Stelle nicht wieder besetzt worden. Anderthalb Leute sind noch übrig. „Jetzt ist endgültig die Wanne voll“, sagt dazu Sabine Diers. Seit '94 trifft sie zusammen mit Cem Teskin und einer Honorarkraft als Straßensozialarbeiterin die Huchtinger „Problemfälle“: Diejenigen, die sonst nicht erreicht werden können, die nicht ins Freizi gehen, die „verhaltensauffällig“sind, Strafanzeigen am Hals haben wegen Diebstahl, Gewalt, Drogenhandel. 80 bis 90 Jugendliche zwischen 12 und 23 Jahren kennen die drei Sozpäds, die als „Grenzgänger“-Projekt eingesetzt wurden.

„Die Jugendlichen werden auch vom Freizi und vom Jugendzentrum ausgegrenzt“, rückt Sabine Diers das Bild gerade. Der Jugendclub Grolland e.V. – ein informeller Treffpunkt, den 40 Jugendliche selbstverwaltet haben – wurde dieses Jahr geschlossen, weil die Bildungsbehörde die 65 Quadratmeter als Klassenräume brauchte. Über einen Wohncontainer-Ersatz, der 50.000 Mark kosten würde, wird diskutiert.

„Es bleibt doch alles, wie es ist“, sagt Serhad in der Eisdiele. „Unser Kampf gegen die Unterdrückung geht weiter. Es gibt auch korrekte Polizisten, Norbert zum Beispiel. Aber normalerweise warten die schon mit den Knüppeln auf uns. Daß die bei der Beerdigung waren, ist schlimm genug. Und irgendwie müssen wir doch sagen, was wir wollen!“Er zerknüllt seine Zigarettenschachtel: „Hier, das ist das Wort der Politiker!“Ayse hat sich dazugesetzt: „Die BSAG-Leute behandeln uns unmöglich! Die lassen uns nicht zu Dennis' Kreuz. Wir gehen da lang und heulen und trauern, und die lachen uns aus.“

Silvia Plahl