Eine Frauenuni für die Expo 2000

Fachfrauen aus aller Welt sollen die Weltausstellung in ihrem Sinne nutzen  ■ Aus Hannover Julia Förster

Bei einem Blick in die Expo-Zukunft könnte uns in drei Jahren in Hannover das folgende Bild begegnen: Mehr als 1.000 Studentinnen und Wissenschaftlerinnen werden sich aus den unterschiedlichsten Ländern zu Studienzwecken dort versammelt haben. Mehr noch als ihre geographische Herkunft werden ihre wissenschaftlichen Wurzeln bestaunt werden. Denn die Frauen, die die „Internationale Frauenuniversität Technik und Kultur“ initiieren und dort teilnehmen, werden allesamt hochqualifizierte Fachfrauen sein.

AylÛ Neusel, die federführend für dieses Konzept der Expo-Frauenuni steht, äußerte sich am Samstag auf dem Kongreß „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“ in Hannover noch optimistisch zum Stand der Dinge. „Früher wurden diese Ideen als Spinnerei abgetan – jetzt gibt es sehr viel Zuspruch. Die Landesregierung unterstützt die Idee, und die Finanzierung über Stiftungen ist realistisch.“ Ihr Fazit: Die Gründung ist sicher.

Universitäten nur für Frauen – was in Deutschland oft Befremden oder Ratlosigkeit auslöst, ist in anderen Ländern absolute Normalität. In den USA sind gerade in letzter Zeit Frauenunis durch berühmte Absolventinnen ins Bewußtsein gerückt. Dort wird den Frauen zum Fachwissen soviel Selbstvertrauen eingetrichtert, daß sie sich später von männerdominierten Hierachien nicht einschüchtern lassen. Andererseits gibt es Länder, die ihren angehenden Damen der Gesellschaft den letzten Schliff per Frauenuni vermitteln wollen oder eine studentische Geschlechtertrennung aus religiösen Gründen verordnen. AylÛ Neusel, gebürtige Türkin, sah sich mit Verdächtigungen konfrontiert, sie plane möglicherweise eine Einrichtung nach islamischem Vorbild.

Dabei hat Neusel, promovierte Ingenieurin, Mitbegründerin der Gesamthochschule Kassel und Professorin für Hochschulforschung, ganz anderes im Kopf. Seit zehn Jahren bereits gibt es Frauen, die die Idee einer Frauenuni verfolgen. Der konkrete Vorschlag, eine internationale Uni als zeitlich begrenztes, wiederholbares Expo- Projekt zu verwirklichen, wurde 1993 in Hannover geboren. Von der Frauenforschungskommission Niedersachsen, deren Vorsitzende Neusel ist, wurden die Ideen ausgearbeitet und vom Ministerium für Wissenschaft und Kultur veröffentlicht.

Die Allianz von Expo und Frauenuni fand jedoch nicht die ungeteilte Zustimmung auf dem Kongreß. Neusel verteidigte sie mit pragmatischen Argumenten: Für die Gründung einer Frauenuni braucht man Geld. Die Expo braucht gute Themen. Und außerdem hätten Frauen, die die Weltausstellung in ihrem Sinne nutzten, durchaus Tradition. Das Plenum in Hannover wollte ihrer Argumentation jedoch nicht folgen. Auf der Abschlußveranstaltung am Sonntag gab es ein eindeutiges Votum gegen die Expo 2000 in Hannover ab (siehe Bericht auf dieser Seite).

Was könnte die Uni für Frauen bezwecken? „Es ist wichtig, daß Vorbilder sichtbar sind“, nennt Neusel als erstes. Frauen in technischen Studienfächern oder Mädchen, die solche Frauen werden könnten, haben gerade in Deutschland so gut wie keine weiblichen Vorbilder um sich herum. Allen Fördermaßnahmen zum Trotz stagnieren die Anteile der Studentinnen in diesen Fächern bei drei bis zehn Prozent, die Anzahl entsprechender Professorinnen geht weiterhin gegen null. Würden Fachfrauen der ganzen Welt ihre Kompetenz und ihr Wissen an einem Ort zusammentragen, würden sie endlich einmal sichtbar sein.

Internationalität und Interdisziplinarität sind die beiden anderen großen Ziele. Sieben Forschungsschwerpunkte sollen von Expertinnen angeboten werden: Intelligenz, Information, Körper, Wasser, Stadt, Arbeit, Migration. Hinter jedem dieser Stichworte verbergen sich vielfältige Möglichkeiten. Die Themen sind so breit angelegt, um Ansätze aus verschiedensten Disziplinen zu ermöglichen. In welche Richtungen das gehen kann, hat die Frauenforschungskommission in ihrem Bericht in mehrseitigen Überlegungen festgehalten. Das Thema Wasser soll beispielsweise dazu animieren, Wasser als eins der zentralen Probleme des kommenden Jahrhunderts zu analysieren – und zwar aus den unterschiedlichen Perspektiven, aus denen es sich in verschiedenen Ländern darstellt. Was beim Thema Arbeit lange Tradition hat, nämlich die Forschung aus Frauenperspektive, muß bei anderen Themen erst erarbeitet werden.

Studentinnen aus aller Welt, die am Ende ihres Studiums stehen oder es bereits abgeschlossen haben, können sich mit einem Projekt zu einem Thema bewerben. Dieses Projekt muß in den 100 Tagen, an denen die Universität „lebt“, so bearbeitet werden können, daß eine Abschlußarbeit möglich ist. Was immer wieder betont wird: Die Frauenuni soll eine Vorführuni sein, sie soll leistungsorientiert sein und einen Abschluß bieten.

In welchen Sprachen gemeinsame Veranstaltungen abgehalten werden, ob es regionale Schwerpunkte für einzelne Themen geben soll, wie für 1.000 Wissenschaftlerinnen die notwendige Infrastruktur geschaffen werden kann, wie die Universität fortgeführt wird – das alles sind Detailfragen, die AylÛ Neusel in Hannover nicht beantworten konnte. Sie verwies dazu nur auf den Gründerverein, der in wenigen Wochen ins Leben gerufen wird.

Bei ihren Vortrag zeigten sich viele ihre Zuhörerinnen – Ingenieurinnen und Naturwissenschaftlerinnen aller Ebenen – von diesem organisatorischen Stand ebenso entsetzt, wie von der Idee begeistert. Spontane Angebote, hier zu helfen, gab es viele. Erst auf der Abschlußveranstaltung zeigte sich deutlich, wie zerrissen die Wissenschaftlerinnen bei der Frage sind, ob sie die Expo für ihre Zwecke nutzen sollen.