■ Wie die deutsch-französischen Beziehungen verkümmern
: Friede, Freude, Eurokuchen

Ein Damoklesschwert, auf das der Name „Maastricht“ aufgepinselt ist, hängt derzeit nicht nur über den Konferenztischen der Finanzminister, sondern auch über den Podien deutsch-französischer Intellektuellendebatten: Sag, wie hältst du es mit dem Euro, will man an erster Stelle vom Teilnehmer wissen, so als hinge von der Antwort Wohl und Wehe des Universums ab. Wie bei der Gretchenfrage geht es um ein Glaubensbekenntnis, nicht um die Analyse der Währungsproblematik, zu der Intellektuelle mangels Sachverstand auch kaum in der Lage sind.

In den 80er Jahren wurden häufig deutsch-französische Mißverständnisse, wenn nicht Entfremdungen beklagt. Das postmoderne Paris warf der Schule von Jürgen Habermas vor, einen „Terror der Vernunft“ zu entfesseln, umgekehrt entsetzten sich deutsche Denker über französische Philosophen, die ihre cartesianische Tradition über Bord warfen und ihrerseits an Heideggers Hand antirational „germanisierten“, wie Tucholsky das schon Anfang der 30er beklagte.

Heute kann man sich fragen, ob diese Zeit der Mißverständnisse nicht eine wunderbare Zeit gewesen ist. Habermas wird inzwischen zwar mit Aplomb in Paris empfangen und von Le Monde als Bannerträger der europäischen Aufklärung gepriesen, was ihm herzlich zu gönnen ist: Nur sieht es so aus, als werde das gute alte Wort europäische Aufklärung hauptsächlich als Synonym für den Euro gebraucht. Habermas selbst hat auch das gewünschte Glaubensbekenntnis zum Euro abgegeben und bekannt, daß er sich darin sowohl mit Helmut Kohl als auch mit Helmut Schmidt einig weiß. Friede, Freude, Eurokuchen.

Das Geld drängt es also zur Fusion, der Geist jedoch sträubt sich. Zwischen Frankreich und Deutschland herrscht kulturell Ebbe. Der Französischunterricht in Deutschland geht kontinuierlich zurück, auch der Deutschunterricht in Frankreich schrumpft. Französische Literatur, in der Epoche der „Mißverständnisse“ im deutschen Buchhandel noch stark vertreten, ist aufs Katzenbänkchen verbannt. Der Bremer Manholt Verlag zum Beispiel, der sich mit der Übersetzung zeitgenössischer Literatur aus Frankreich große Verdienste erworben hat, kann es sich dieses Jahr nicht mehr leisten, französische Bücher zu verlegen.

Doch die Verständigung läuft immer besser, da ja der Euro kommt. Um Banknoten lesen zu können, muß man auch keine Sprachen mehr beherrschen. Und Bücher sind sowieso ein Thema für Festansprachen. Lothar Baier

Der Autor lebt als freier Publizist in Frankfurt/Main