Mit der Panflöte am Waldrand

Ein Jahr vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt liegen die Nerven in der von der PDS tolerierten rot-grünen Koalition blank. Dennoch muß das Bündnis halten, weil es Modellcharakter hat  ■ Aus Magdeburg Detlef Krell

Auf keinen Fall wäre er bereit, sich von den Grünen „wie ein Bär am Nasenring durch die Manege führen zu lassen“, schimpft Sachsen-Anhalts SPD-Wirtschaftsminister Klaus Schucht über den kleinen Koalitionspartner. Kaum hat das rot-grüne Bündnis mit dem von der Kabinettsmehrheit gebilligten „Kompromiß“ zur militärischen Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide einen Scheidungsgrund verwunden, liefert Schucht den nächsten: einen Großflughafen in der Altmark für jährlich 18 Millionen Passagiere.

Der ehemalige Treuhand-Manager, dem in grünen Kreisen schon mal nachgeredet wird, er könne seinen Job auch gut bei der CDU ausfüllen, poliert das Klischee vom wirtschaftsfeindlichen grünen Spinner: „Wenn wir immer nur dem Traum nachhängen, in der Altmark abends am Waldrand zu sitzen und Panflöte zu spielen, dann werden wir die Strukturprobleme dieser Region nie lösen.“

Die Bündnisgrünen werden auch wegen des Flughafenprojekts nicht aus der Koalition aussteigen, da kann sich die SPD sicher sein. Ein knappes Jahr vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt will keiner der Partner das Ende des fragilen, beargewöhnten „Magdeburger Modells“ auf dem Gewissen haben. Weder die SPD, die 1994 mit 34 Prozent ihr bestes ostdeutsches Wahlergebnis erzielt hatte, noch die Bündnisgrünen, die mit knapp über fünf Prozent gerade so ins Parlament gesprungen sind. Und auch die PDS nicht, die ihren Platz neben Reinhard Höppners rot-grüner Minderheitsregierung als eine „Opposition in gestalterischer Verantwortung“ (Fraktionschefin Petra Sitte) begreift.

Sachsen-Anhalt am 26. April 1998 wird nicht nur der Seismograph für die zweiundzwanzig Sonntage darauf folgende Bundestagswahl, sondern direkt Weichen stellen für einen Reformwechsel in der Bundesrepublik. Reichen die Stimmen für Rot-Grün zwischen Börde und Bitterfeld, brauchen sich die beiden Parteien in Bonn nur noch vor Patzern in der Zielgeraden zu hüten. Wird es wieder so knapp wie 1994, weht ihnen nicht nur auf dem flachen Magdeburger Land eisiger Wind ins Gesicht. Entweder sie entscheiden sich für eine Neuauflage des Magdeburger Modells – die Duldung einer Minderheitskoalition durch die PDS –, oder die SPD muß mit der CDU ins große Koalitionsboot. Letzteres ist zumindest mit einem Kapitänsduo Reinhard Höppner (SPD) und Christoph Bergner (CDU) kaum vorstellbar, an deren wechselseitiger Aversion muß es aber nicht scheitern. Denn jede wie auch immer formulierte Bündnisfrage mit der PDS würde von einer bisher beispiellosen Wahlkampfschlammschlacht übertönt.

CDU-Fraktionschef und Bundesvize Bergner hatte die Sozialdemokraten zur Großen Koalition schon eingeladen. Das Dementi kam postwendend aus den eigenen Reihen: keinerlei Koalitionsaussagen im Wahlkampf, stellte CDU-Landeschef Karl-Heinz Daehre klar. Auch die Angeworbenen geben der CDU bisher einen Korb, zumindest offiziell. Ministerpräsident Höppner hat sich längst unumwunden zur Fortsetzung von Rot-Grün bekannt. Der bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende Hans- Jochen Tschiche erklärte daraufhin, man werde keine Koalitionsaussage ins Wahlprogramm schreiben, könne sich „jedoch vorstellen, weiter mit der SPD zusammenzugehen“. Kein Zweifel also an Rot- Grün in Sachsen-Anhalt. „So unerreichbar scheint das nicht“, vermutet vorsichtig-optimistisch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Jens Bullerjahn, der auch die Fortsetzung des Magdeburger Modells nicht ausschließen will: „Wenn es für eine rot-grüne Mehrheit doch nicht reicht, wäre diese Diskussion nicht unsinnig.“ Das Modell der Minderheitsregierung habe den parlamentarischen Alltag aufgewertet, viele Sachdebatten würden tatsächlich erst im Parlament entschieden. Anders als in Sachsen, wo ein „über jeden Zweifel erhabener“ Biedenkopf mit absoluter CDU- Mehrheit allein regiere.

Dem Koalitionspartner rät Bullerjahn zu mehr souveräner Gelassenheit: Die Grünen sollten jetzt „nicht jeden Punkt zur Nagelprobe stilisieren“ und die „gute Arbeit der Koalition nicht immer in Frage stellen“. Bullerjahn zählt auf: die Haushalte, das ÖPNV-Gesetz, das Kinderbetreuungsgesetz, regionale Strukturpolitik, „da steht nicht SPD drauf, sondern das ist rot-grüne Politik in Sachsen-Anhalt“. Dissens wie den zur Colbitz- Letzlinger Heide „muß eine Koalition schon mal aushalten können“. Letztlich werde über Mißstimmung in diesen Tagen „mehr spekuliert, als an der Sache dran ist“. Undine Kurth, die Landessprecherin der Grünen, räumt diese Neigung ihrer Partei, „alles gleich über Bord werfen zu wollen“, durchaus ein: „Für uns gibt es immer nur halbleere Flaschen, nie halbvolle.“ Mancher im Landesverband hätte ja deshalb lieber ehrliche Opposition als Kompromisse mit Sozialdemokraten.

Bei politischem Gegenwind, beobachtet Hans-Jochen Tschiche, hätten die Sozialdemokraten Probleme, „den Kurs zu halten“. Die Magdeburger Politik laufe Gefahr, in die „Phase des Lavierens“ zu geraten, wenn die SPD nur ihre Klientelinteressen befriedigen wolle. Undine Kurth fordert deswegen, Rot-Grün im vierten Jahr der Minderheitsregierung nicht durch Themen zu belasten, die außerhalb der Hoheit des Landes liegen – Wirtschaftsminister Schucht betreibt mit seinem Flughafenvorstoß genau das Gegenteil, denn eine Entscheidung für oder gegen das acht Milliarden Mark teure Großprojekt ist vom Ausgang des Planfeststellungsverfahrens für Berlin- Schönefeld abhängig – also nicht vor 2002. Im Koalitionsvertrag war der Bau von Flughäfen zunächst ausgeschlossen worden. Später einigte man sich auf den Kompromiß, dieses Projekt zu prüfen, abhängig von der Flughafenentscheidung in Berlin und von der Zustimmung – also vom Geld – aus Bonn. Jetzt wird der Flughafen Stendal, ein Landeplatz für die nächste Generation, Wahlkampfthema.