Eklat um amnestys Israel-Arbeit

■ Koordinationsgruppe wirft deutscher Sektion vor, Folter aus historischen Gründen zuwenig zu kritisieren und die Palästinenser zu ignorieren

Berlin (taz) – Wegen Differenzen über den Umgang mit Menschenrechtsverletzungen in Israel hat die Israel-Palästina-Koordinationsgruppe der deutschen Sektion von amnesty international (ai) ihre Arbeit nach nur einem Jahr eingestellt. Die für dieses Jahr geplante Israel-Kampagne wurde abgesagt. Zwischen dem ai-Bundesvorstand, der einen vorsichtigen Kurs gegenüber Israel befürwortet und einigen propalästinensisch eingestellten Mitgliedern der Gruppe gab es in den vergangenen Monaten harte Auseinandersetzungen.

„Die eklatanten Menschenrechtsverletzungen in Israel erfordern ein entschlossenes Vorgehen ohne falsche Rücksichtnahme auf die historische Schuld der Deutschen“, erklärt Andrea Malorny. Die frühere Sprecherin der Koordinationsgruppe ist inzwischen mit zwei anderen Mitgliedern bei ai ausgetreten. Gegenüber Israel werde von der deutschen ai-Sektion eine defensive Vorgehensweise praktiziert, die gegenüber den PalästinenserInnen nicht mehr vertretbar sei. Malorny wirft dem ai-Vorstand „Passivität, Lethargie und Wegsehen“ gegenüber der Situation der PalästinenserInnen vor.

Für ai-Vorstandsmitglied Volkmar Deile geht es nicht darum, ob menschenrechtliche Forderungen gegenüber Israel erhoben werden, sondern wie es getan wird. „Die deutsche Sektion hat Verständnis für jeden Juden und jede Jüdin, die nicht von deutscher Seite für Menschenrechtsverletzungen durch die israelische Regierung kritisiert werden möchten“, sagt Deile. Außerdem stelle sich die Frage, „ob es den Opfern von Menschenrechtsverletzungen hilft, wenn sich auch Deutsche für sie einsetzen“. Dies sei von der deutschen ai-Sektion bisher stets bejaht worden. „Wir haben die menschenrechtliche Substanz der Kritik an Menschenrechtsverletzungen in der Verantwortung der israelischen Regierung nie relativiert.“ Dies belegten 44 Eilaktionen seit 1994, Beiträge im ai-Journal und Berichte an die Presse. Deile verweist zudem auf einen noch heute gültigen ai-Beschluß von 1989, wo festgeschrieben ist „aufgrund der deutschen Geschichte gibt es besondere Beziehungen zu Israel“. Ausschlaggebend für den Streit mit der Koordinationsgruppe seien weniger politische als persönliche Differenzen gewesen.

In einem offenen Brief halten die ehemaligen Mitglieder der Koordinationsgruppe dagegen. Israel sei das einzige Land der Welt, in dem es nicht nur „gewöhnliche“ Menschenrechtsverletzungen wie willkürlichen Verhaftungen und unfaire Gerichtsverfahren gebe, sondern auch, aufgrund einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 14. November 1996, eine Legalisierung der Folter. „Danach ist bei Verhören die Anwendung ,erhöhten physischen Drucks‘ gestattet, wenn die öffentliche Sicherheit gefährdet scheint.“ Andrea Malorny kommt zu dem Schluß: „Israel-Arbeit ist bei ai-Deutschland nicht machbar.“

Die Länderbeauftragte von ai, Margit Jost, versichert: „Wir werden aber nach wie vor zum Thema Israel arbeiten.“ Allerdings könne in diesem Jahr durch das Auseinanderbrechen der Koordinationsgruppe die Kampagne nicht wie vorgesehen durchgeführt werden. Man werde sich daher auf die Arbeit der ausländischen ai-Sektionen verlassen und deren Material verbreiten. Jens Rübsam