Trauzeuge mit Schnute

Die Komödie ruft „Partnertausch“, die Tragödie stellt ihre Stacheln auf: „Love etc.“ von Marion Vernoux, ein Film über zwei Freunde und ihre Marie, ist keineswegs nur zum Lachen  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Ein wenig zu spät schlägt sie die Augen nieder, die Lippen geschürzt, und artikuliert einige aalglatte Verlogenheiten. Dabei wird ihre Nasenspitze noch länger und der Nasenrücken noch breiter, und irgendeinen Trick muß Charlotte Gainsbourg haben, daß sie in diesen Momenten einen echsenhaften Teint annimmt. Wie paradox: genau wenn ihre Unverwechselbarkeit am stärksten ist – nicht eine lebende Schauspielerin des Kinos kann einen solchen verbeulten Charme produzieren –, taucht sie ab im Mainstream. Sie wird eine von Millionen junger Frauen auf der Straße, die mittelmäßige Sachen sagen und ziemlich belanglose Frisuren tragen. Denen man dreimal am Tag gedankenverloren nachschaut und jedesmal denkt, es sei eine andere.

Am Anfang von „Love etc.“ trägt Marie eine Fußballerfrisur in roter Hennatönung. Sie trifft einen Mann im Café, den sie fragt: „Warum haben Sie das Foto Ihres Freundes geschickt?“ Und er: „Ich bin nicht sehr fotogen.“ So beginnt eine Liebesgeschichte, die darauf fußt, daß Marie sich entschließt, diesen flattrigen Bankmann namens Benoit, den sie über eine Anzeige kennengelernt hat, nicht mehr gehen zu lassen. Mit treffsicheren Szenen arbeitet die Regisseurin Marion Vernoux heraus, wie schwer es fällt, die Synchronizität herzustellen, auf die Intimität gebaut ist. Marie will nur sagen: „Mir wäre es lieb, an diesem Tisch zu sitzen“, aber Benoit beginnt seinen Satz genau zur gleichen Zeit, und das kleine Desaster ereignet sich dreimal nacheinander. Und später: Wie verliert ein Mann in einem Flur seine Jacke, während er noch die Haustür hinter der Besucherin schließen muß, von der er bereits heftig geküßt wird?

Eric Rohmer hat es kultiviert, und wir haben – nicht ohne einen gewissen Widerstand – uns entschlossen, das zu mögen: die schiefen Bonmots des Alltags, die Besuche am Meer, die beschaulichen Gassen. Hier eine Szene mit Müll- Lastwagen bei Nacht, dort zwei Sekunden reflexhaftes Glitzern im Vorbeifahren. Wenn wir die Freunde Benoit und Pierre kennenlernen – bevor Marie ins Spiel kommt –, folgen wir einem schwarzen Saab bei Dunkelheit, und aus dem fahrenden Sarg kommen die Stimmen der Männer. Sie streiten über eine Situation im Restaurant. Es geht um eine Frau. Benoit hat mal wieder nicht gezündet. Pierre ist Manns genug, ihm das vorzuwerfen. So streichelt er das eigene erotische Imago.

Bei Mitte des Films scheint die Sache klar: Marie und Benoit heiraten. Das muß auch so sein, denn es handelt sich um die Verfilmung eines Romans von Julian Barnes („Talking It Over“). Marie ist inzwischen Charlotte Gainsbourg ähnlicher geworden, sie wirkt fester und sinnlicher. Das gleiche gilt für Yvan Attal, von dem das Woody-Allen-Ungeschick abfällt, während seine gedrungene romanische Sexyness sich nach außen kehrt – den Darsteller von Benoit. Wir sehen also ein Ehepaar, das als Paar gewonnen hat.

Pierre wird gespielt von Charles Berling: verschmitztes Vogelgesicht, ein jungenhaftes Lachen. Man sah ihn zuletzt als aufgeklärten Störenfried der Versailler Hofgesellschaft in „Ridicule“. Hier, in „Love etc.“ spielt er einen Lehrer, dem die Schülerinnen mit brennendem Blick auf den Hinterkopf starren, ein Charmeur mit einem Schuß Melancholie, die Filterlose als ultimativer Schmuck. Als Trauzeuge zieht er eine Schnute. Pierres Absturz steht im Zentrum der zweiten Hälfte des Filmes. Als Lehrer gekündigt, Dauerschuldner beim Freund Benoit (dem Bankmann), beginnt er, dessen Ehefrau nachzustellen. Sie, Marie, betreibt inzwischen eine Werkstatt zur Restaurierung von Bildern – Pierre lungert bei ihr herum, bringt ihr Blumen. Sie, statt ihrem Ehemann den Wandel des Freundes zu offenbaren, schlittert mit Pierre in einen Bund der Heimlichkeit, diesseits von Sex, aber weit jenseits von Freundschaft. Die Psychopathologie der Anhänglichkeit ist eigentlich das, was daran interessant ist: Hat Benoit Marie nur bekommen, weil er einen leichtlebigen Freund an seiner Seite hatte? Oder interessiert sich Pierre gerade deshalb für Marie, weil sie durch die eheliche Bindung enigmatisch geworden ist?

Der Film rührt an diese Fragen, vertieft sich aber nicht in ihre Logiken. Er nimmt die dramatischste aller möglichen Wendungen – die Ehe von Benoit und Marie zerbricht –, bietet aber keinen Anhaltspunkt dafür, daß Pierres verspätetes Bekenntnis zu Marie die „echtere“ Liebe sein soll. Der gewollt läppische Titel „Love etc.“ und der Slogan des Verleihs „Eine Frau, zwei Freunde und ein Duett zu dritt“ verraten eine gewisse Verlegenheit, das Genre des Films festzulegen. Die Komödie ruft „Partnertausch!“, und die Tragödie stellt ihre Stacheln hoch.

Das Drehbuch von Marion Vernoux und Dodine Herry wirkt gefangen in der Logik der ewigen Singles; das Gewicht der ehelichen Bindung – unter der Voraussetzung ihrer vollkommenen Freiwilligkeit – wird bei weitem unterschätzt.

Ein gewisses Geschick in der Montage der Geschichte, ein interessanter Showdown und ein melancholischer Nachklapp verbergen die logischen Mängel so, wie manche Maler durch einen gelungenen pastosen Duktus Schwächen in der Konstruktion eines Bildes zweitrangig machen können. Die Regie von Vernoux ist beflügelt von gallischer Leichtigkeit, vom Geist des „Pourquoi pas!“, aber man möchte nicht beschwören, daß sie sich einrichten wird auf der heiteren Seite dramatischer Stoffe. Ulf Erdmann Ziegler

„Love etc.“, Regie: Marion Vernoux. Mit Charlotte Gainsbourg, Yvan Attal, Charles Berling. Frankreich 1996, 105 Min.