Die Bundesregierung hat sich finanzpolitisch in eine Sackgasse manövriert. Die Initiative Theo Waigels, die Goldreserven neu zu bewerten, um die Haushaltslöcher zu stopfen, zeigt das Dilemma. Neuwahlen sind im Gespräch. In der FDP mehren si

Die Bundesregierung hat sich finanzpolitisch in eine Sackgasse manövriert. Die Initiative Theo Waigels, die Goldreserven neu zu bewerten, um die Haushaltslöcher zu stopfen, zeigt das Dilemma. Neuwahlen sind im Gespräch. In der FDP mehren sich die Stimmen, die ein Scheitern der Koalition in Aussicht stellen.

Gold oder Leben heißt die Parole

Der Zustand der Regierung gleicht einem Himmel voller Gewitterwolken kurz vor der Entladung. Zwar stand die Koalition schon im November 1996 vor dem Bruch. Auch wurde der Rücktritt von Theo Waigel immer mal wieder gefordert. Jetzt aber wird so ernsthaft wie lange nicht mehr über Neuwahlen diskutiert.

Auslöser für die Situation scheint die Initiative des Finanzministers zu sein, die Goldreserven neu zu bewerten, um damit das Haushaltsloch zu reduzieren. Die Stichworte „Goldneubewertung“ und „Waigel“ beherrschen jedenfalls die Debatte. Doch was wäre damit gewonnen, wenn die Regierung auf die Neubewertung der Goldreserven verzichtet und Theo Waigel zurücktritt. Im Haushalt 1997 fehlt dann immer noch eine zweistellige Milliardensumme.

Die Neubewertung der Goldreserven käme auch der FDP gelegen, auch wenn es niemand zugibt. Auffällig halten sich die liberalen Parteispitzen mit eindeutigen Stellungnahmen zurück. Aus einer Zustimmung zu Waigels Plänen wäre in der Öffentlichkeit ja auch wenig Honig zu saugen. Aber was wäre die Alternative? Schließlich hat die FDP keine Vorschläge für eine Senkung des Haushaltsdefizits gemacht. Und mit Steuererhöhungen sowie einer Verschiebung der Senkung des Soli-Zuschlags kann sie sich unmöglich einverstanden erklären. Unionspolitiker, die ein Nachgeben der FDP fordern, wie etwa Thüringens Regierungschef Berhard Vogel, betreiben den Koalitionsbruch. Die Stimmen aus den Reihen der FDP mehren sich, die ein Scheitern der Koalition in Aussicht stellen: Paul Friedhoff, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagte, wenn die CDU Steuererhöhungen zum Stopfen von Haushaltslöchern verlange, stelle sie die Koalitionsfrage.

Der stellvertretende Vorsitzende, Rainer Brüderle, schloß ein Nachgeben definitiv aus. Und der FDP-Haushaltsexperte Jürgen Koppelin antwortete auf die Frage, ob er das Scheitern der Koalition für möglich halte, zwar mit nein, begründete diese Einschätzung aber damit, daß die Union auf die Neubewertung der Goldreserven schon verzichten werde. Aber was, wenn nicht?

Was hat die FDP schon für eine Wahl? Bereits im November 1996 wäre die Koalition beinahe geplatzt, als die Union darauf bestand, die Senkung des Soli-Zuschlags zu verschieben. Die Bild am Sonntag bezeichnete die FDP- Spitze als „die Betrüger von Bonn“. Wenn die FDP in der selben Frage noch einmal nachgibt, gibt sie sich auf. Ihre nahezu einzige Berechtigung zieht die FDP schließlich aus ihrem Profil als Steuersenkungspartei.

Der Weg über Neuwahlen, wie sie SPD-Chef Oskar Lafontaine fordert, scheint tatsächlich aussichtsreicher zu sein. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD, Kai Diller, vermutet: Wenn es in ein paar Monaten Neuwahlen gebe, „würde die FDP abspringen“. Sie hätte dann gute Chancen, die Erinnerung an standhaftes Verhalten wachhalten zu können.

Doch das würde auch dann gelten, wenn es noch in diesem Jahr zu Neuwahlen kommen würde. Eine FDP, die standhaft geblieben ist, zumal mit dem attraktiven Ziel der Steuersenkung, könnte möglicherweise auch ohne Koalitionsaussage über die Fünfprozenthürde springen. Die Union steht da schon eher unter Zugzwang, die Koalition fortzusetzen. Mit welchen Meriten wollte sie schon in diesem Jahr in den Wahlkampf ziehen, angesichts von Rekordarbeitslosigkeit, Milliardendefiziten und einem Koalitionspartner, der gerade weggelaufen ist? Der Vorwurf der Blockadepolitik an die SPD wirkte da nur lächerlich, zumal die Sozialdemokraten in der öffentlichen Meinung immer besser wegkommen. Mit ihrem Steuerkonzept hat die SPD gerade erst eine seriös wirkende Alternative aufgezeigt.

Bezeichnend ist, daß kein nennenswerter Unionspolitiker mit dem Bruch der Koalition droht. Im Gegenteil: Generalsekretär Peter Hintze hat ihn ausgeschlossen. Und CSU-Finanzminister Edwin Huber machte sich mit den Worten Mut: „Kein Mensch will jetzt Neuwahlen.“ Aber wie kann sich die Union aus ihrem Dilemma befreien? Theo Waigel hat zwar gestern abend bei der Krisensitzung der Koalitionsspitzen eine neue Sparliste vorgelegt, doch dabei kann es sich nur um Peanuts handeln. Bundeskanzler Kohl hatte vor einigen Wochen gesagt: Mehr als eine Milliarde könne unmöglich eingespart werden. Also doch den Euro-Start verschieben, wie Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer dem Spiegel gesagt haben soll? Damit wäre allerdings ein Lebenstraum von Kanzler Kohl in Gefahr. Als andere Möglichkeit bringen Unionsabgeordnete einen Kompromiß bei der Neubewertung der Goldreserven ins Spiel. Statt 1997 dürfe Waigel halt erst 1998 zusätzliche Milliarden einstreichen (siehe unten).

Rückt also eine Einigung bei der Steuerreform wieder näher? Neue Kompromißbereitschaft kommt ausgerechnet von den Steuerpuristen der FDP. Rainer Brüderle signalisiert Verhandlungsbereitschaft beim Spitzensteuersatz. Fragt sich nur, ob die Sozialdemokraten ein Interesse daran haben, durch ihre Zustimmung zu einem solchen Kompromiß der Regierung aus der Patsche zu helfen. Markus Franz, Bonn