Geschlossene Digital-Gesellschaft

■ Zuviel Wettbewerb ist hinderlich, findet die Telekom. Die Konzerne sind schwach, glaubt Medienwächter Hege

Wenn er nach Visionen gefragt wird, macht NRW-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) die Arme ganz weit: Größe, erklärte er am Montag nachmittag auf dem Kölner Medienforum bündig, sei alles in der digitalen Zukunft des Mediengeschäfts. Nur die Kolosse, so Clement, kommen da noch durch – und daher: „Die Politik darf ihre Begriffe von Wettbewerbssicherung, Marktmachtbegrenzung und Medienkonzentrationskontrolle nicht mehr allein im nationalen Rahmen definieren.“ Eine „Revision des Bestehenden“ forderte der SPD-Mann anstelle des „medienpolitischen Provinzialismus“.

Die Kolosse freilich, jedenfalls die Konzerne Kirch und Bertelsmann, scheuen in diesem Jahr die Bühne des Medienforums und realisieren Clements Größenvision lieber andernorts: Bei der Telekom, so war zu hören, haben sie schon einmal signalisiert, daß man im Kabel nur noch Platz für eine einzige digitale Plattform benötige, nämlich Premiere (mit Kirchs DF 1 huckepack).

Mit den Vertretern der Telekom gab es dann doch auch einen richtigen Koloß auf dem Podium – einen übrigens, das hatte Ministerpräsident Rau am Morgen deutlich gemacht, der sich in NRW auch gehätschelt fühlen darf. Und einen, der sich pflichteifrig mühte, Clements Diktum von der Not der Zusammenballung fürs Digitale zu bestätigen.

Mit den Inhalteanbietern, also mit Bertelsmann und Kirch, gab Telekom-Vorstand Herbert May bekannt, führe man über die geplanten Abmachungen im digitalen Kabel weiterhin bilaterale Gespräche, und die seien nicht so schlecht, wie berichtet wird: 90 Millionen Mark etwa, dementierte May den Spiegel, habe man für einen Platz im Kabel keinesfalls verlangt. Telekom-Berater Franz Arnold mußte dann allerdings bestätigen, daß die Zahl gefallen ist: 4 Milliarden verliere die Telekom mit dem Kabel im Jahr, da koste ein Kanal schon 90 Millionen. Den Kunden wolle man freilich weniger in Rechnung stellen.

Klar ist: Die Telekom will fürs Kabel richtig Geld sehen, und das möglichst schnell und möglichst schnell digital. Wettbewerb ist da, siehe Clement, nur hinderlich – und daher sucht der Kabelriese noch in einem anderen Bereich Größe durch Abmachungen zu schaffen: Mit den privaten Kabelnetzbetreibern, die der Telekom zumindest im Endkundengeschäft (nicht aber bei der Zulieferung) das Monopol ein wenig streitig machen, stehe man kurz vor einer Einigung über Modalitäten des geplanten Kabelausbaus, verkündeten unisono Telekom-Vorstand May und Bernd Jäger vom Privatkabelverband Anga.

Die Idee der Telekom und ihrer Partner in spe, das zu tun, in dem das Kabel in zwei Bereiche aufgeteilt wird, den „must carry“- und den „not must carry“-Sektor, scheint inzwischen weithin akzeptiert. Wobei die Kabelplätze im (beschränkten) „must carry“-Bereich weiterhin von den Landesmedienanstalten nach gesellschaftspolitischen Kriterien verteilt werden, vor allem an Öffentlich-Rechtliche und den Bürgerfunk.

Im großen Rest aber würde hauptsächlich ein Kriterium gelten, auch wenn die Telekom andere wie Anbietervielfalt der Ordnung halber noch nennt: das Kundeninteresse, soll heißen das kommerzielle Interesse der Telekom. „Die Brisanz beim Digitalfernsehen“, sagte Telekom-Vorstand May, „liegt darin, daß jetzt die Spielregeln für einen sehr langen Zeitraum gesetzt werden.“

Die Medienwächter sind die mühselige Aufgabe, den Mangel im Kabel verteilen zu müssen, ohnehin leid. Sie sind daher durchaus bereit, sich auf eine „Strukturaufsicht“ zurückzuziehen, wie Berlins Mediendirektor Hans Hege sagt – „aber dann müssen am Anfang neue Strukturen stehen.“ Mit der Telekom, so Hege, „ersetzen wir derzeit lediglich ein öffentliches Monopol mit Gemeinwohlverpflichtung durch ein privates mit Shareholder-value-Orientierung“. In der künftigen digitalen Welt, so Hege, sei Meinungsmacht eben anders definiert als bisher. Wer sich wie die Telekom als Monopolist anschicke, nicht nur den technischen Zugang zum neuen Fernsehen zu kontrollieren, sondern auch die Programmpakete zusammenzustellen, müsse genau beobachtet werden: „Dies wird das Entscheidende für öffentliche Meinungsbildung sein.“

Anders als der Medienpolitiker Clement sieht der Medienwächter Hege auch den Erfolg der Digitalzukunft nur im Wettbewerb der vielen Anbieter: „Die geschlossenen Welten, die jetzt überall entwickelt werden, sind für mich kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche.“ Das sagte Hege wie einer, der weiß, daß er von einem verlorenen Posten aus argumentiert. Lutz Meier