Alles sehr leise

Eine Ausstellung der besten Pressefotos der Welt zeigt vor allem Bilder aus Kriegsgebieten  ■ Von Alexander Musik

Drei Kinder vor einer zerschossenen, von Lichtreflexen gesprenkelten Mauer. Einem Jungen hat eine Mine das rechte Bein abgerissen, das Mädchen im Vordergrund hält eine zerfledderte Puppe im Arm. Francesco Zizolas Bild, aufgenommen in einem Zentrum für kriegstraumatisierte Kinder in Angola, ist das World Press Photo 1997. Ausgewählt aus 35.650 Bildern, die 3.663 professionelle Fotografen eingesandt hatten.

Mit dem Hauptpreis zeichnet die Jury traditionell Fotodokumente aus Kriegsgebieten aus: den Blick eines Kindes durch die Heckscheibe eines Busses in Grosny 1996, das vernarbte Gesicht eines ruandischen Hutu-Rebellen im Jahr davor. Was Bomben und Panzer angerichtet haben, ist grausam, was sie im Gemüt der nachwachsenden Generation hinterlassen haben, ist noch gar nicht abzusehen. Darum, um den Symbolwert des Fotos, geht es der World-Press- Photo-Stiftung. Was aber nichts daran ändert, daß einige Exponate im Hamburger Gruner + Jahr- Pressehaus die Fotostrecken besserer Firmenzeitungen bebildern könnten. So etwa die Dokumentation eines Containerschiffbaus auf der Rostocker Werft. Kaum nachzuvollziehen und willkürlich ist auch die Einordnung von James Nachtweys Grosny-Bildern in die Rubrik „Harte Fakten“, Francesco Zizolas angolanische Landminenopfer in „Menschen in den Schlagzeilen“ und Thomas Hurts Flüchtlingsströme in Runada in „Reportagen“. Je mehr Sparten, desto mehr Preise – das mag die Einsendungen ankurbeln.

Neil Burgess, Vorsitzender der Jury 1997, sagt im Vorwort des Katalogs über seine Kollegen, sie könnten „schrecklich rechthaberisch, egoistisch und reizbar“ sein, gar „aus dem Lot geratene Persönlichkeiten“. Waren sie das schon, bevor sie nach Afghanistan, Angola oder Liberia gingen, oder erst, als sie wiederkamen? Sind es selbstverliebte Hasardeure, die die Redaktionen und Agenturen ins offene Messer laufen lassen oder die sich frontsüchtig von Bürgerkrieg zu Bürgerkrieg hangeln, Vorbilder für zahllose Reporterthriller?

Francesco Zizola jedenfalls hat mit dem Klischee nichts zu schaffen. Er benennt Leidenschaft und ethische Gründe als Motor seiner Arbeit, seiner Reisen nach Südamerika, Afrika und Asien. 20.000 Tote in neun Monaten habe es in Angola gegeben, sagt er, die die Presse ignoriert habe, weil alle Berichterstatter in Sarajevo gewesen seien. Daß „alles sehr leise“ war, sogar „die Vögel gezwitschert“ hätten, wollte Zizola vermitteln.

Wer genauer hinschaut, wird feststellen, daß Pressefotografie ein routiniertes Geschäft ist. Der Amerikaner James Nachtwey hat für seine Aufnahme von tschetschenischen Kindern in zerschossenen Panzern einen dritten Preis bekommen. Sein französischer Kollege Eric Bouvet muß in Grosny neben ihm gestanden haben: Sein Foto auf dem Ausstellungsplakat zeigt dieselbe Szenerie, nur der Ausschnitt ist etwas anders. Bouvet ging bei der Preisvergabe leer aus. Möglicherweise ist den Juroren angesichts der fatalen Ähnlichkeit der Bilder ganz kurz etwas mulmig geworden.

Die Ausstelung „World Press Photo“ ist jährlich in 65 Städten und 35 Ländern zu sehen. In Deutschland: bis 13. Juli Hamburg; 8. bis 31. August Berlin; 9. bis 30. September Leipzig; 10. Oktober bis 2. November München; 6. bis 30. November Frankfurt