Die Frau im Schatten

Elisabeth Hauptmann, die wichtigste Mitarbeiterin Bertolt Brechts, wäre heute 100 Jahre alt geworden. Die These „Sex for text“ ist nicht haltbar. Nicht Brecht vereitelte ihre eigene literarische Karriere, sondern Adolf Hitler  ■ Von Sabine Kebir

Obwohl Elisabeth Hauptmann die Freundin und Mitarbeiterin war, die am längsten und wohl auch intensivsten „dabei“ war, ist sie der Öffentlichkeit am wenigsten bekannt. Sie steht nicht nur im Schatten des Meisters, sondern auch im Schatten der anderen Frauen: der berühmten Schauspielerin Helene Weigel, der an ihrer Tuberkulose früh zugrunde gehenden Margarete Steffin und der dramatisch psychotischen Ruth Berlau. Hauptmann erduldete ihre Depressionen ebenso still wie ihre vielen Krankheiten. Sie starb 1973 als Herausgeberin der Werke Brechts in beiden deutschen Staaten. Offiziell zeichnete Suhrkamp als Herausgeber, Elisabeth Hauptmanns Funktion ist nur als „Mitarbeit“ ausgewiesen. Als Mitarbeiterin erschien ihr Name – wie von Brecht angeordnet – auch im Vorspann zu vielen Stücken.

Öffentliche Aufmerksamkeit verschaffte ihr vor zwei Jahren der Medienrummel um die Brecht-Biographie von John Fuegi, der die These „Sex for text“ weltweit in Umlauf brachte. So seien einige Werke Brechts zu 80 oder mehr Prozent von ihr geschrieben worden. Das kann leicht mit dem Verweis auf die unverwechselbare Brechtsche Dichtungssprache entkräftet werden, die Elisabeth Hauptmann und Margarete Steffin zwar imitieren konnten, in längeren, eigenen Texten aber nicht durchhielten. Wo aber liegen die Anteile, die Elisabeth Hauptmann in Brechts Werk zweifellos hat?

Obwohl sie keine materielle Unterstützung von den Eltern bekam, hatte sie ihren Lehrerinnenberuf bereits seit zwei Jahren an den Nagel gehängt, weil sie studieren und vielleicht auch literarisch tätig werden wollte. Als sie Brecht 1924 in Berlin kennenlernte, faszinierte sie ihn nicht nur als belesene Kennerin der französischen und besonders auch der anglo-amerikanischen Kulturräume. Sie hatte auch sofort einen dramaturgischen Einfall für das Stück „Mann ist Mann“, bei dem er nicht weiterkam. Brechts Erfolg setzte sich damals noch nicht in nennenswerte Einnahmen um, die materielle Situation des bald gemeinsam schreibenden Duos war desolat. Er überredete aber seinen Verleger Kiepenheuer, die Hauptmann für ihn als Lektorin einzustellen. So begann eine lebenslange „Arbeitsfreundschaft“, die zeitweise auch ein Liebesverhältnis war.

Neben dem gemeinsamen Bau von Stücken übten sich Brecht und Hauptmann in einem neuen Genre, der amerikanischen Short story. Wie aus ihrem Tagebuch von 1926 hervorgeht, versuchte Elisabeth Hauptmann, diese Geschichten an Magazine zu verkaufen. Da Brechts Name besser zu vermarkten war, wurde ein Teil ihrer Arbeiten damals schon unter die seine subsumiert. Das hat sie in ihrer eigenen Edition der Geschichten niemals kenntlich gemacht. Erst der demnächst im Rahmen der Großen Berliner und Frankfurter Ausgabe erscheinende Erzählungsband wird ihre aus den Manuskripten noch feststellbaren Anteile belegen. Auch eigene Geschichten – die übrigens eine für die damalige Zeit beachtliche feministische Relevanz haben – veröffentlichte sie unter verschiedenen Pseudonymen. Wahrscheinlich wollte sie – ähnlich wie Marie Luise Fleißer – ihr sehr bürgerliches Elternhaus im westfälischen Peckelsheim nicht schockieren.

In dem Tagebuch von 1926 steht auch, daß sich Brecht ihrer Meinung nach mit kleinen Genres wie Gedichten, Artikeln und Kurzgeschichten „verzettelte“. Sie wolle ihn „an eine längere, richtige Arbeit kriegen“. Das gelang ihr, als sie ihm 1927 einige Szenen aus der „Beggars Opera“ übersetzte. Zunächst machten sie sich nur aus Spaß an die Arbeit. Daß sich die Premiere der „Dreigroschenoper“ von dem Moment an, als der „Kanonensong“ gesungen wurde, zu einem Triumph auswuchs, war für beide „eine Überraschung“. Mit den zwölf Prozent Tantiemen, die der Vertrag Elisabeth Hauptmann zusicherte, waren die materiellen Sorgen auch für sie bis 1933 vorbei.

Brecht schlug ihr vor, aus ihrer im Milieu der Heilsarmee spielenden Novelle „Bessie Soundso“ (dessen im Brecht-Archiv liegendes Manuskript weist übrigens zahlreiche Veränderungsvorschläge von seiner Hand auf) ein Stück in der Art der „Dreigroschenoper“ zu bauen. Er wollte die Songs liefern. So entstand in wenigen Wochen „Happy End“, das 1929 unter Brechts Regie und mit Helene Weigel als „Dame in Grau“ am Schiffbauerdamm uraufgeführt wurde. Und obwohl angekündigt war, daß Elisabeth Hauptmann das Stück nach einer Erzählung der fiktiven amerikanischen Autorin Dorothy Lane geschrieben hatte, hielt die Kritik einhellig Brecht für den Autor. Er habe seine „Sekretärin“ nur vorgeschickt, um einen etwas weniger gelungenen Zweitaufguß seines Erfolgsstückes zu vermarkten.

Meine These ist: Nicht Brecht kaschierte die Kollektivität seines Werks und die Mitarbeit von Frauen. Es war vielmehr das Zusammenwirken weiblicher Sozialisation und der damals wie heute auf den großen „Einzelautor“ fixierten Medienwelt, wodurch MitarbeiterInnen systematisch aus dem Blickfeld ausgeblendet sind. Brechts kollektive Arbeitsweise wird von Fuegi geradezu kriminalisiert. Dabei stellt sie eine zum Beispiel im Film auch damals bereits gängige Arbeitsweise dar. Daß die Medien, die Wissenschaft und die Editoren – darunter auch Elisabeth Hauptmann selbst – die Anteile von Mitarbeitern oft vernachlässigen, steht auf einem anderen Blatt.

Elisabeth Hauptmanns Anteile an Brechts Werk beschränken sich nicht auf die Dramaturgie. Von ihr stammen auch einzelne Gedicht- und Songzeilen. „Brecht ließ ja immer irgend etwas zu, wenn es ihm gefiel“, sagte sie 1972 in den Vorgesprächen zu dem über sie gedrehten Film „Die Mit-Arbeiterin“ von Karlheinz Mund. Die englischsprachigen Songs – z. B. der „Alabama- Song“ – sind ganz von ihr. Ihre im Hauptmann-Archiv der Akademie der Künste noch vorhandenen Rohübersetzungen sind von Brechtscher Sprachperfektion aber so weit entfernt, daß Fuegis Behauptung, sie habe endgültige Fassungen ganzer Gedichte und Songs geschrieben, einfach falsch sind. Wohl aber beeinflußte Elisabeth Hauptmann die Sprache Brechts bis in die Einzelheiten. Auf ihr Geschmacksurteil, angefangen bei den großen Linien bis hin zum einzelnen Wort, hörte er bis an sein Lebensende. Endgültige Textfassungen wurden auch noch in den fünfziger Jahren zwischen ihm und seiner Herausgeberin – oft am Telefon – gemeinsam erwogen und „ausgehandelt“.

Die Vorstellung der lebenslang von Brecht abhängigen Mitarbeiterin sollte jedoch aufgegeben werden. Elisabeth Hauptmann hatte schon bald eine eigene Sphäre von Freundschaften, die – dem Avantgardismus der damaligen Intellektuellen entsprechend – ebenfalls „offen“ und experimentell waren. Dazu gehörten auch zwei Ehen, eine davon mit Paul Dessau. Auch hat sie eine Weile mit der Journalistin Bianca Minotti gelebt, die später unter dem Namen Margret Mynatt in England Chefherausgeberin von Marx und Engels wurde.

Seit Ende der zwanziger Jahre veröffentlichte sie ihre Magazingeschichten endlich unter eigenem Namen. Außerdem verfaßte sie zusammen mit dem Dramaturgen Emil Hesse-Burri viele Radiohörspiele. Ihre eigene literarische Karriere vereitelte nicht Brecht, sondern Hitler. Im Herbst 1933 wurde sie für mehrere Monate inhaftiert, entkam aber schließlich doch noch ins amerikanische Exil. Aus ihrem erst kürzlich entdeckten Briefwechsel mit Walter Benjamin geht hervor, wie lange sie vergeblich darum kämpfte, sich auf dem amerikanischen Kulturmarkt zu etablieren, sei es im Film, beim Radio oder als Schriftstellerin. Schließlich mußte sie sich mit einer bescheidenen Stellung als Lehrerin zufriedengeben.

Elisabeth Hauptmann hat ihren Nachlaß der Akademie der Künste übereignet. Er ist ein Vierteljahrhundert lang nur so oberflächlich „genutzt“ worden, daß neben ihren sensationellen Selbstzeugnissen – u. a. ihr Tagebuch von 1926 – sogar 13 Brecht-Briefe unentdeckt blieben. Weil auch der Suhrkamp- Verlag und die Medienwelt ganz auf den großen „Einzelautor“ fixiert waren, blieb die Bewertung des „Kollektivautors“ Brecht bislang vor allem den puritanisch- neoliberalen Spekulationen des Männerfeminismus à la Fuegi überlassen.

Von Sabine Kebir erschien soeben das Buch „Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht“ (Aufbau Verlag). Das Buch wird heute um 20 Uhr im Berliner Literaturforum im Brecht-Haus vorgestellt. Dort wird auch das Video „Die Mitarbeiterin. Gespräche mit Elisabeth Hauptmann“ zu sehen sein.