■ Mit Entsorgungsmilliarden auf du und du
: Neue Geldquelle

Hannover (taz) – Rund 54 Milliarden Mark Gewinne haben die bundesdeutschen AKW-Betreiber dem Zugriff der Finanzämter entzogen, indem sie sie in ihren Bilanzen als Rückstellungen für den Abriß von AKWs oder für die Entsorgung des Atommülls auswiesen. Noch vor drei Wochen dementierte die Bundesregierung in der Antwort auf eine kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion Pläne, diese Rückstellungen künftig nicht mehr als steuermindernd anzuerkennen.

Bei den Beratungen des Steuerreformgesetzes im Finanzausschuß des Bundestages haben die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP am vergangenen Freitag da nun anscheinend eine Kehrtwende gemacht. 2,7 Milliarden Mark an zusätzlichen Steuern, so beschloß die Ausschußmehrheit von Union und FDP, sollen die Energieversorger im Jahr 1998 zahlen und damit einen Beitrag dazu leisten, daß die Senkung des Solidaritätszuschlages finanziert werden kann.

Nach dem Steuerreformgesetz, dem eine Mehrheit im Bundesrat keineswegs sicher ist, sollen die EVUs künftig zumindest Rückstellungen für die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente auflösen. Und bei den Rückstellungen für den Abriß von AKWs soll nicht mehr eine Lebensdauer der Kraftwerke von 19, sondern von 25 Jahren zugrunde gelegt werden. Dadurch vermindert sich der Betrag, der jährlich für Abrißkosten in die Bilanz eingestellt werden darf. Von den Rückstellungsbeträgen, die durch diese Neuregelungen aufgelöst werden müßten, würden rund 50 Prozent sofort ins Steuersäckel fließen.

Diese zaghaften, aus der Finanznot geborenen Schritte haben allerdings nur wenig gemein mit der Forderung von Bonner SPD-Abgeordneten wie Michael Müller oder Hermann Scheer, an die Entsorgungsmilliarden endlich die normalen Maßstäbe des Steuerrechts anzulegen. In den Augen der beiden SPD-Umweltpolitiker sind von 54 Entsorgungsmilliarden mindestens 20 Milliarden fragwürdige Rückstellungen. Nach Angaben der Bundesregierung, die selbst aber keinen genauen Überblick hat, sind von den 54 Milliarden über 40 Milliarden für die Entsorgung des Atommülls, der Rest für den Abriß der AKWs vorgesehen.

Nach Schätzungen dürfte die Entsorgung des bisher produzierten Atommülls keinesfalls mehr als 20 Milliarden kosten. Da die Endlagerung des Mülls erst für 2030 vorgesehen ist und die EVUs die Rückstellungen gewinnbringend investieren, würde eine weit geringere Summe zur finanziellen Vorsorge für die Atommüllentsorgung reichen. Jürgen Voges