„Das ist wie unter Idi Amin“

Das nigerianische Regime versucht mit Folter, Killerbanden und Verhaftungen auch von Familienangehörigen Oppositioneller, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Ein warnender Appell an die internationale Gemeinschaft  ■ Von Wole Soyinka

Lassen Sie mich gleich sagen: Folter der schlimmsten, unvorstellbarsten Art ist in Nigeria eine feste Einrichtung geworden. Bello Fadile [im Zusammenhang eines angeblichen Putschversuchs verhaftet; Anm. d. Ü.] wurde sinnlos gefoltert, bis er zusammenbrach und gegen Obansanjo [ehemaliges Staatsoberhaupt, verhaftet in derselben Sache] aussagte. Auch Oberst Lawan Gwadabe wurde gefoltert, auf brutale, schmutzige, obszöne Weise. Er wurde an den Füßen aufgehängt, mit Fäkalien überschüttet und bekam Elektroschocks. Dann holte man seine Freundin, die zusehen mußte. Auch sie wurde, so weit ich weiß, kurze Zeit festgehalten.

Wir haben es also mit dem Abschaum der Menschheit zu tun, wenn wir von denen reden, die zur Zeit mit der sogenannten Kunst des Regierens in Nigeria beschäftigt sind. Hauptzweck all dessen ist natürlich, der gesamten Opposition zu zeigen, daß Abacha vor nichts und niemandem haltmacht. Das wollen sie jedem ins Gedächtnis brennen.

Erstmals in der Geschichte Nigerias ist es so weit gekommen, daß Familienangehörige von Oppositionellen für die angeblichen Untaten ihrer Verwandten bestraft werden. Die gesamte Familie von Oberst Iluyomade [ehemaliger Offizier, angeklagt wegen Verrats, jetzt im Exil] wurde verhaftet. Auch die Frau von Dapo Olonyomi, einem Journalisten, der vor ein paar Monaten aus Nigeria geflohen ist und in Kalifornien einen Preis für hervorragenden Journalismus gewonnen hat, wurde kürzlich verhaftet. Geiselnahme ist zur Routine geworden. Findet man nicht den, den man sucht, nimmt man seine Frau, seine Kinder, irgendwelche Verwandte. Selbst im Südafrika zu Zeiten der Apartheid haben wir das nicht erlebt. Das ist wie unter Idi Amin.

Wir müssen der internationalen Gemeinschaft sagen: Bitte macht nicht denselben Fehler wie damals bei Ken Saro-Wiwa. Ihr habt es hier nicht mit rationalen Wesen zu tun. Ich will nicht immer wieder dieselben Ausdrücke für Abacha benutzen, ich langweile mich schon selbst damit. Aber ich muß einfach einen Weg finden, das Denken der internationalen Öffentlichkeit zu erreichen.

Man scheint immer noch zu glauben, daß es bestimmte Grenzen gibt, die dieser Typ nicht übertreten wird. Ich sage Ihnen, ich sage allen: Er kennt absolut keine Grenzen. Er akzeptiert, versteht nicht, was Menschlichkeit, was Ehrlichkeit, was Wahrheit bedeuten; er weiß nicht, was eine Nation ist, er ist... Ich weiß nicht, wie ich ihn noch beschreiben soll. Wir wissen, daß Abacha sich eine Killerbande in Nigeria hält, sie leben in Abuja und sind Major Mustapha unterstellt, der seine Befehle direkt von Abacha bekommt. Diese Killer flogen nach Laos und brachten Frau Kudirat Abiola um. Ausgebildet wurden sie in Nord-Korea und Libyen, eine sehr disziplinierte Truppe, die sich tagsüber niemals zeigt. Sie operieren nur im Dunkeln und kehren nachts oder im Morgengrauen zurück.

Und wir wissen, daß einige Botschaften außerhalb Nigerias die Aufgabe haben, die Arbeit dieser Killer zu koordinieren und vorzubereiten, wenn sie außerhalb Nigerias arbeiten. Abacha darf also nicht unterschätzt werden – auch wenn er durch die Tatsache gehandikapt ist, daß einige ausländische Sicherheitsdienste die Bewegungen seiner Killertruppe genau beobachten.

Außerdem hat es ein Geheimtreffen zwischen Abacha und einigen afrikanischen Staatsoberhäuptern gegeben, auf dem unsere Auslieferung diskutiert wurde. Einige Staaten schickten keine Repräsentanten, sie hatten keine Lust, ihre Zeit zu vergeuden. Einer riet Abacha, zur Hölle zu fahren. Ein anderer hat sich gewunden. Aber mindestens zwei Länder (Togo und Gambia) haben sich Abachas Forderung unterworfen, uns nach Nigeria auszuliefern, sollten wir den Fehler machen, dort einzureisen.

Lassen Sie uns anfangen damit, was die internationale Gemeinschaft NICHT tun soll, womit sie AUFHÖREN soll.

Zunächst sollte sie aufhören so zu tun, als gäbe es irgendeinen demokratischen Prozeß. Sie muß ihre Sprache radikal ändern, nicht mehr sagen: „Na ja, wir schauen uns die Entwicklung dort an“, sondern den gesamten Prozeß dort radikal ZURÜCKWEISEN. Solange es dieses Element des „kritischen Entgegenkommens“ gibt, wird einer Sache, die verfault ist bis an die Wurzel, Glaubwürdigkeit verliehen.

Es hat eine Wahl gegeben (im Juni 1993). Der gewählte Präsident Chief Abiloa schmort im Gefängnis. Die Demokraten in der Gesellschaft sagen: „Die einzige Lösung ist die sofortige Installation einer Regierung der nationalen Einheit, mit dem Sieger der Wahlen vom 12. Juni 1993 an der Spitze.“

Die Außenwelt weiß genau, daß alle Anzeichen dafür sprechen, daß passiert, was wir vorausgesagt haben: daß Abacha sein eigener Nachfolger wird! Seine fünf Parteien – ich nenne sie „die fünf Finger einer verfaulenden Hand“ – nähern sich einander an. Tatsächlich war ja eine Bedingung für ihre Schaffung, daß sie sich, wenn die Zeit dafür kommt, vereinigen müssen. Dann sagen sie: „Der einzige Weg zur Einheit des Landes für uns fünf Parteien ist, uns zusammenzuschließen und uns auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen.“ Und genau das passiert bereits.

Don Etiebet (Vorsitzender einer der fünf Parteien), der es gewagt hatte, sich als Präsidentschaftskandidat zu empfehlen, wurde eingesperrt. Nach ein paar Tagen „Zeit zum Abkühlen“ wird man, das garantiere ich Ihnen, von seinen Präsidentschaftsambitionen nichts mehr hören. Abacha kauft, schüchtert ein oder foltert jeden, der Ehrgeiz zeigt. Das ist sein eigentliches Ziel.

Wir wissen natürlich, daß der wahre Kampf gegen ihn aus Nigeria selbst kommen muß. Und ich versichere Ihnen, dieser Kampf findet die ganze Zeit schon statt. Man hört allerdings nicht viel davon. Keiner geht in die Gefängnisse und zählt, wie viele verhaftet worden sind; es gab so viele Verhaftungen, daß man Baustellencontainer aus ganz Nigeria angefordert hat, um die Gefangenen unterzubringen.

Ja! Es wird gekämpft, und die Nigerianer bringen große Opfer. Wir haben überall Kader, die gegen diese Scheinwahlen und den angeblichen demokratischen Prozeß von Abachas Gnaden in Nigeria agitieren, die den Leuten sagen: „Laßt euch nicht registrieren, das ist nur Zeitverschwendung.“ Einige wurden verhaftet – derzeit sitzen, glaube ich, 37 unserer Mitglieder in verschiedenen Gefängnissen.

Die internationale Gemeinschaft soll endlich aufhören so zu tun, als wüßte sie nicht, was los ist. Sie soll aufhören, die Sprache des Entgegenkommens zu sprechen, und tun, was kürzlich eines der regelmäßigen Treffen europäischer mit afrikanischen, pazifischen und karibischen Staaten erbracht hat: einen Boykott gegen Nigeria verhängen und Abachas Regime vollkommen isolieren. Wir wissen, daß bestimmte Geschäfte mit Nigeria fortgesetzt und bestehende Verbindungen aufrechterhalten werden müssen. Aber es muß ein Weg gefunden werden, nur das Allernötigste zu tun – mit der allerdeutlichsten Sprache der Verurteilung.

Wole Soyinka ist Nigerias bekanntester Romancier, Theaterautor, Dichter und Essayist. 1986 erhielt er den Literatur-Nobelpreis. Er lebt im Exil und wurde im März dieses Jahres zusammen mit elf anderen Aktivisten für ein demokratisches Nigeria in absentia angeklagt, u. a. wegen Landesverrats. Vorliegender Text ist die Zusammenfassung eines Gesprächs mit Cameron Duodu.