Insgeheim höchst anständig

Death of the Cool: Robert Mitchum, der definitiv letzte der großen Alten (und der sexieste), ist in Santa Barbara sanft entschlafen  ■ Von Mariam Niroumand

Ein Mädchen tat immer gut daran, sich mit Robert Mitchum ein wenig vorzusehen. Bei einem Abendessen in Santa Barbara erzählte er der Bedienung, mit beiden Händen wild gestikulierend, so lange von dem Moment, in dem er seinen Arm in einer Ankerkette verlor, bis diese in Tränen ausbrach. Dabei hielt er angeblich vom Schauspielen nichts. Es erschien ihm als außerordentlich unmännlich. „Ich bin im Filmgeschäft wegen meines Egos. Ich habe ein tiefes Bedürfnis, meinen Gärtner zu beeindrucken.“ Angeblich hielt er auch von den immerhin über 125 Filmen nicht viel, in denen er seit 1943 mitgespielt hatte. „Ach wissen Sie“, hatte er 1968 einem Interviewer müde gesagt, „im Grunde habe ich denselben Film hundertmal gedreht. Irgendwann habe ich dann nicht einmal die Drehbücher mehr gelesen, denn Sie können mir glauben: Selbst wenn es von Balzac oder Baudelaire gewesen wäre, spätestens auf Seite 20 wären ein paar Gorillas herausgesprungen und hätten mich vermöbelt.“ Spielen mochte er alles, „polnische Schwule, Zwerge, Frauen – egal.“ Bloß angesehen hat er sich die Filme dann nie: „Gibt ja doch keine Parkplätze.“

So könnte man weitermachen. Anekdoten pflastern seinen Weg. Er selbst war mal kurzzeitig Gagschreiber. Zunächst sah es jedoch nicht so aus, als würde alles so rasend komisch verlaufen. Als er zwei Jahre alt war, wurde sein Vater, ein Eisenbahnrangierer, zwischen zwei Zügen zerquetscht. Von da ab war er ein Kinder-Hobo, lebte ständig bei Verwandten, wurde vorsichtshalber wortkarg und schlagkräftig und verbrachte viel Zeit in Frachtzügen. Die Ukulele, die ihm seine Mutter aus Sorge um seine kommunikativen Kompetenzen irgendwann besorgte, konnte es auch nicht mehr reißen. Als er während eines Konzerts einem anderen Knaben kurzerhand ein pyrotechnisches Erzeugnis ins Blasinstrument warf, flog er von der Schule. Immer wieder gern wird die Geschichte erzählt, wie er schließlich, längst Kesselputzer und Wanderarbeiter, als Landstreicher verhaftet und vom Richter verdonnert wurde, 180 Tage als Kettenhäftling im Arbeitslager zu verbringen, von wo er aber nach sieben Tagen verletzt nach Hause floh.

Wenig später dann, verheiratet (bis zum Schluß!) mit seiner liebsten Dorothy und unglücklich, fand er Arbeit bei Lockheed und sah ein trostloses blue-collar-Leben auf sich zukommen. Ziemlich typisch für die Schauspieler der New-Deal-Generation. Mehr oder weniger zufällig schlitterte er in Jobs als Bühnenarbeiter im Long Beach Theater. Noch Jahre später hat er gern die Geschichte erzählt, wie ihm dann eines Tages ein blutiger Cowboyhut in die Hand gedrückt wurde, der von seinem Vorgänger nämlich, den das Pferd gerade abgeworfen und zu Tode getreten hatte – das waren die „Hopalong Cassidy“-Filme.

Ein solcher Hintergrund schreit ja geradezu nach Film Noir. Obwohl er schon seit seinem müden Helden, Lieutenant Walker in „The Story of G.I. Joe“ (1945), mehr war als nur ein „Extra“, nahm er so richtig Studioformat erst in der Nachkriegszeit an, als Noir-Held in solchen dunkel schimmernden Filmen wie „Out of the Past“ (1947) von Jacques Tourneur, in dem er einen ehemaligen Detektiv spielt, der, wie es dann immer so niedlich heißt, „versucht, ein ruhiges, normales Kleinstadtleben“ zu leben. Man weiß dann immer schon, daß es scheißvergeblich ist. Und daß die Frau kommen und alles kaputtmachen wird. Er läßt sich anheuern von einem, der ihn auf Jane Greer (uhhhh!) ansetzt, die er dann in Acapulco trifft, unvergeßlich die Barszene, wo er sich selbstverständlich grandios und still, wie es seine Art ist, in sie verliebt. „Crossfire“ (1947) war ein anti-antisemitischer Film von Edward Dmytryk, in dem Mitchum den zynischen GI spielt, der ihm so gut stand, während er bei dem schrecklichen von Sternberg (Mitchum: „Der mit seinem falschen deutschen Akzent, der ist doch aus New Jersey“) in „Macao“ (1952) an der Seite von Jane Russel als verwundeter Ex-GI in kolonialer Hitze sehr sexy dahindarbt.

Auch über seine Art von Sexyness, die ja wohl niemand, der noch bei Trost ist, bestreiten wollen wird, gab er sich lapidar. Er schreibt sie den meist auf halbmast hängenden Augenlidern zu. Man würde als Schlafzimmerblick mißverstehen, was in Wahrheit das traurige Residuum einer Augenkrankheit war. (Ganz so war es nicht.) Außerdem schlief er schlecht. Deshalb schrieb Stephen Hunter über ihn: „Wenn Mitchum aufs Set kam, und er hatte diesen trüben Blick und diese kühle Art, nach anderthalb Flaschen Tequila in Ruhe eine Szene zu besprechen, und alles lief einfach so, wie es sollte, dann hatte man das deutliche Gefühl: Wenn der einmal ausschläft, ist er verloren.“

In Cannes hatten sie ihn zuerst immer ausgelacht. Die Jacketts! Dieses Kinn, uncroyable! Ein Bauerntölpel. Aber 1954, nachdem er einen Gefängnisaufenthalt wegen Marihuana und außerdem „Fluß ohne Wiederkehr“ mit Marilyn Monroe hinter sich hatte, wurde er als böser Bube mit Gefährlichkeitspotential gefeiert. Dazu paßte dann der berühmt gewordene Skandal um das Starlet Simone Silva, die zu seiner und der Fotografen Freude am Strand barbusig auf ihn zukam. Am nächsten Tag wurde sie gebeten, Cannes zu verlassen. Sie ging nach Hollywood und brachte sich um, als die Studios sie boykottierten.

Niemand kam mehr an ihm vorbei nach „Die Nacht des Jägers“ (1955), in der Tat einer der sinistersten Filme, die man sich denken kann. Interessanterweise hat sich das Süß-Gespenstische, das von diesem Film ausgeht, absolut erhalten. Kindergesichter, Sternenhimmel und ein Apokalyptischer Reiter, der unten am See vorbeireitet, während die vor ihm zitternden Kinder aus einem Scheunendach herübersehen, das saß wie ein eigener Schreck. Ein Priester mit Mord- und Lustgedanken, alles endlos ruhig, schaurig und schön und irgendwie urzeitlich durch die Anwesenheit von Lilian Gish, die plötzlich wieder aussieht wie in Griffiths „The Mothering Heart“ – ein Wunder und irgendwie doch kein Wunder, daß der Film seinerzeit zunächst mal floppte.

Daß Mitchum so etwas spielen konnte, straft alle seine hemdsärmeligen Abfälligkeiten über die eigene Arbeit Lügen. Und überhaupt: Robert Dmytryk wußte: „Er tut immer so, als sei er leichtsinnig und ein bißchen durchgeknallt; in Wirklichkeit ist er einfach anständig.“ So was ist natürlich sehr sexy. Am Dienstag abend ist Robert Mitchum im Alter von 79 Jahren in seinem Haus in Santa Barbara entschlafen.