Von allen Seiten beobachtet

■ Zwei Bücher zu Sarajevo während des Krieges und danach. Peter Maass erklärt seine Parteinahme für die Bosnier, während Sabine Riedel Alltag beschreibt

Peter Maass hat als Korrespondent der Washington Post zwei Kriegsjahre in Bosnien verbracht und jeden Tag eine Story nach Amerika geschickt. Danach hat es ihm gereicht. Seine Erfahrungen mit dem Krieg hat er in einem Buch verarbeitet.

Herausgekommen ist ein Bericht von einer inneren wie äußeren Reise. Zum einen berichtet er von den Auffanglagern in Split, dem Winter 1992/93 in Sarajevo, einem Abstecher nach Belgrad zu Slobodan Milošević und schließlich von den Genfer Friedensverhandlungen. Zum anderen beschreibt er seine geistige Entwicklung vom neutralen Beobachter nach dem Motto „So ist nun mal der Balkan“ hin zum klaren Eintreten für die bosnischen Muslime. Obwohl es ihm in erster Linie darum geht, von den Geschehnissen in Bosnien und den Verbrechen der Serben zu berichten, hat er seinem persönlichen Erleben der Situation – als Journalist – viel Raum gewährt.

Über den Umgang der Medien mit Bosnien ist schon viel geschrieben worden. Es ist aber etwas anderes, ob von „daheim“, jenseits der Grenze, Lehnstuhlkritik betrieben wird oder ob ein Journalist vor Ort sich Gedanken darüber macht, was es bedeutet, ein professioneller Beobachter eines Krieges zu sein.

„Sarajevo war Gewalt und Leidenschaft – für Journalisten die äußerste Versuchung“, schreibt Maass. Im Zentrum seiner Rede steht denn auch die Zwitterstellung des Reporters, der mit im Kessel sitzt, aber freiwillig, der Zeuge ist, aber selten selbst Opfer. Wenn er – immer wieder – die Verbrechen der Serben und die Untätigkeit der UNO anprangert, wird die Ohnmacht spürbar, die er ständig empfunden hat. Die eindeutige Parteinahme für die Bosnier ist nicht unproblematisch, zumal Maass, der seinen Bericht antritt mit dem Anspruch, Erkenntnisse über das „Wesen der Menschen“ von seiner Reise mitgebracht zu haben (was ihn mit vielen anderen Reisenden verbindet, die glauben, der Kontakt mit einer fremden Kultur habe ihre Augen geöffnet für das Universale), häufig darauf verfällt, die Serben als das Böse schlechthin zu brandmarken. Eine ganz andere Darstellungsart als die von Maass wählt Sabine Riedel. Die deutsche Journalistin hat Sarajevo nicht während des Krieges besucht, sondern danach. Ihr Buch versammelt in acht Geschichten aus Sarajevo eine vielschichtige Beobachtung des Geschehens. Im Stil einer literarischen Erzählerin versetzt sich die Autorin in verschiedene Personen hinein und erzählt aus deren Perspektive: muslimische, kroatische und serbische Jugendliche, deren Probleme so universal wie bosnienspezifisch sind; Soldaten der Friedenstruppen, die schlecht und recht versuchen, der Situation Herr zu werden, und anderes mehr.

Riedel unternimmt nicht den Versuch, die Dinge vermittels eines autoritativen Urteils auf den Punkt zu bringen, reiht eher Beobachtungen aneinander, die es den Lesern gestatten, sich selbst ein Bild von der Situation und der Unvereinbarkeit der verschiedenen Lebenswelten zu machen.

Während diese reportagehaften Geschichten eine professionelle Sprache sprechen, wirkt Riedel, wenn sie sich selbst auftreten läßt, bewußt naiv. Mit Politik beschäftigt sie sich nicht, die Art der Amerikaner, Pressesprecher internationaler Organisationen beim Vornamen zu nennen, kann sie nur bewundern, bei einer Pressefahrt sitzt sie antriebslos im Gras und läßt sich von einem Kollegen belehren.

Am augenscheinlichsten ist diese Haltung in der letzten Geschichte der Sammlung, die weder die Bosnier – gleich welcher Ethnie – zum Thema hat noch Vertreter der Ifor-Truppen, sondern die Wohngemeinschaft, in der die Autorin während ihres Aufenthalts in Sarajevo lebt. In der WG wohnen drei Leute, alle JournalistInnen: eine Italienerin, eine Deutsche, ein Amerikaner.

Als Riedel auf dem Markt ein Hähnchen kauft, stellt sie fest, daß die Innereien nicht, wie bei deutscher Tiefkühlware üblich, herausgetrennt und fein säuberlich in einer Plastiktüte verpackt sind, sondern sich noch an Ort und Stelle befinden. Ihr erster Impuls ist, das Huhn, wie es ist, in den Müll zu werfen. Georgina, die italienische Journalistin, hält sie jedoch davon ab und übernimmt selbst das Ausnehmen des Huhns. Derweilen erzählt sie von ihrer wirklichen Motivation, nach Sarajevo zu kommen, nämlich „Erfahrungen mit dem Mann vom Balkan“ zu machen.

Das Ganze ist so offenherzig erzählt, daß die Ambivalenz des Dargestellten zutage tritt. Die Frage nach dem Wesen des Menschen stellt Riedel jedenfalls nicht, wohl wissend, daß die Dinge des Alltags mehr vom Leben ausmachen – für Bosnier wie für Deutsche und Amerikaner – als die großen Fragen nach dem Sinn der Gattung, zu der sie alle gehören. Martin Hager

Peter Maass, „Die Sache mit dem Krieg. Bosnien von 1992 bis Dayton“. Knesebeck, München 1997, 360 S., 44 DM

Sabine Riedel, „Ende der Ausgangssperre. Sarajevo nach dem Krieg“. Schöffling & Co., Frankfurt/Main 1997, 141 S., 32 DM