Nach langer Nacht Abschied für immer

Die Kultstätte der ostdeutschen Jugendkultur, der „Franz Club“, hat dichtgemacht. Erst war er FDJ-Klub, 1973 brannte er ab, nach 1989 kam die Musikhalle mit Barbetrieb. Die letzte Nacht hat durchgetanzt  ■ Jens Rübsam

In Dresden saß am Mittwoch abend ein Mann und dachte an Berlin. An Silvester 1970. An den Abend, an dem alles im „Franz“ begann. Und dieser Mann in Dresden, Wolfram Seyfert, stellte sich vor, wie es wohl heute abend sein wird im „Franz“, an diesem letzten Abend. Nach 27 Jahren hat der „Franz Club“ in der Schönhauser Allee – gern auch als Kultstätte ostdeutscher Jugendkultur umschrieben – am Donnerstag früh dichtgemacht. Nach einer langen Abschiedsnacht und für immer.

Da saß er nun in Dresden, Wolfram Seyfert, der erste „Franz“- Clubleiter, und sagt: „Der erste Tag war echt lustig.“ Zehn Leute. Ein halbleerer Raum mit häßlichen Stühlen. Zehn Pfannkuchen, für jeden einen. Eine Stadtbezirksrätin. Eine Ansprache. Und eine kurze Vorstellung des Clubleiters. Dann konnte es losgehen. Mit wenigen Auflagen. Nur die: Er, der Chef, dürfe nicht in kurzen Hosen zum Dienst erscheinen. Er habe dafür zu sorgen, daß das Musikverhältnis 60 zu 40 eingehalten werde. 60 Prozent Ostmusik. 40 Prozent Westmusik. Nicht immer wurde sich dran gehalten, und Seyfert wurde gemaßregelt. Von der Stadtbezirksrätin, „oft aber mit einem Augenzwinkern“.

Die ersten Jahre waren vielleicht die spannendsten. Der „Franz“, anfangs noch ein Jugendklub der Abteilung Kultur des Stadtbezirkes Prenzlauer Berg und erst Mitte der 70er ein FDJ-Jugendklub, wird zu einem Treff „von Leuten, die nicht gerade die Sozialbevorteiltsten waren“. Unbekannte Bands proben und spielen hier. Es gibt die Vereinbarung: sechs Proben, ein kostenloses Konzert. Und dann gibt es noch eine Hausband, „Goldene Rose“, die immer dann spielt, wenn gerade mal keine andere da ist. Während der „Weltfestspiele der Jugend“ 1973 wird der „Franz“ zum „Club der Illegalen“. Palästinenser und Kurden campieren hier. Und die Stasi-Jugend in FDJ- Montur auch. Und im September 73, nur wenige Tage nach dem Militärputsch in Chile, findet die erste Soli-Veranstaltung für Allendes gestürzte sozialistische Regierung statt. Glatzeder und Domröse, die Schauspieler, sitzen auf dem Boden, basteln Buttons. Andere kleben Sicherheitsnadeln hintendrauf. Wenig später, im Oktober, brennt der „Franz“ teilweise ab. Wolfram Seyfert wird eingezogen zur NVA. Dann gründet er einen neuen Club, den „Impuls“, „was für Mittzwanziger“. Er war in die Jahre gekommen.

Der „Franz“ auch. FDJ-Jugendklub bis 1989. Dennoch eine Nische für die Ost-Jugend. Dann die Wende und die Neuorientierung und die Änderung des Konzepts. Weg vom Anspruch „jeden Tag ein Konzert“. Hin zur Kommerzannäherung. Barbetrieb. Café. Aufgemotzte Ausstattung. Marktstrategisches Denken. GmbH-Gründung. Und trotz allem der Versuch, das Image „anderer Klub“ aufrechtzuerhalten.

Und nun, Mitte dieser Woche, das Ende.

Auf dem Plakat neben dem Eingang steht fettgedruckt: „Die letzte Chance. Concert 4264: The best of Rocksessions.“ Überm Eingang leuchtet der Schriftzug „Franz“, wie immer neonrot. Der Turm, das 30 Meter hohe Wahrzeichen, ist hell erleuchtet. Auf der Treppe eine wabernde Menschenmasse. Nichts geht mehr. Auch nicht mehr auf der Straße, Schönhauser Allee Ecke Sredzkistraße. Ein Streifenwagen fährt vor. Die Polizei sperrt die Straße ab. „Das werden wohl heute noch mehr“, sagt ein Beamter. Und winkt die Autos vorbei. Auf den Balkons in den Häusern rund um den „Franz“ stehen die Nachbarn und schauen hinüber. „Der macht zu? Das interessiert mich nicht!“ schreit eine Frau übers Balkongeländer.

Thomas Kühn hockt auf der Straße und blickt auf die Massen. Nein, er wolle nicht rein, er sei nur hergekommen, um noch mal zu gucken. Oft war er drin im „Franz“, als Jugendlicher abtanzen und dann, in den vergangenen Jahren, mit seiner Band „The Tide“, das letzte Mal erst im April. Die Bühne, die Atmosphäre, „einfach toll. Ich bin traurig“, sagt Thomas Kühn noch. Dann fährt er nach Hause.

Drinnen fragt die Rundfunkreporterin einen Mittdreißiger: „Was hatte der Klub früher für dich für eine Bedeutung?“ „Ostalgie, das ist doch alles Quatsch“, sagt der Mann ins Mikrofon. Klar, Erinnerungen an tolle Konzerte, an tolle Abende. Klar sei es schade, daß nun Schluß ist. Aber jetzt noch von Ostalgie reden? Er läßt die Dame mit ihren Fragen allein.

Heinz Aschhoff steht neben seinem geputzten Tischchen unten im Keller und grummelt in seinen Bart. „Für alles ist Geld da. Nur für die Jugend nicht. Die brauchen sich doch gar nicht zu wundern, wenn die Jugend auf der Straße rumwichst. Wenn man ihnen so was hier wegnimmt!“ Heinz kennt den „Franz“ in- und auswendig. Seit sechs Jahren ist er Toilettenwart. Manchmal, dienstags und donnerstags, wenn der Laden nicht so voll ist, steht er hier „für umsonst“. Nur wenige geben die fünfzig Pfennig. Aber Heinz ist nicht einer, der meckert. „Die, die hierherkommen, haben doch selber kein Geld.“

Geld. Das Gelände der ehemaligen Schultheissbrauerei gehört der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG), die rund 8.000 Quadratmeter der Kulturbrauerei GmbH vermietet hat. Ein Gesellschafter dieser GmbH ist die Franz Club GmbH, die bisher 10 Mark Miete pro Quadratmeter zahlte. 1995 war vereinbart worden, daß der „Franz“ in neue, größere Räume umziehen soll. „Damit waren wir einverstanden“, sagt Geschäftsführer Frank Herzog. Aber nicht mit dem neuen Mietpreis, den die TLG verlangte. 35 Mark pro Quadratmeter! Das sei nicht aufzubringen, sagt Herzog. Investitionen von einer dreiviertel Million Mark seien in den vergangenen sieben Jahren getätigt worden! „Die werden beim Umzug hinfällig.“ Und dann die Kosten, die beim Aus- und Neueinzug anfallen würden! Angesichts dessen wäre eine Beibehaltung des alten Mietpreises gerechtfertigt gewesen.

Zu einer Einigung ist es nicht gekommen. Am 31. Juli muß der „Franz“ leergeräumt sein. Es heißt, ein Edelrestaurant soll hier rein. Frank Herzog wird erst mal zwei Monate Ferien machen. Elf Jahre „Franz“ Club abarbeiten. Heinz Aschhoff wird erst mal Ruhe haben. Andere, die im „Franz“ gearbeitet haben, sind auf der Suche nach was Neuem.

Und die Jugendlichen? Die Treuhandliegenschaftsgesellschaft hat dieser Tage einhundert Millionen Mark für die Sanierung der Kulturbrauerei bewilligt. Ein Zentrum für Handel, Dienstleistung und Kultur soll entstehen. Eine Tiefgarage für 250 Autos. Und ein Kino. Noch ein Multiplexkino.