Ein Kessel Buntestes

■ Multiethnisch, multimelodisch, multirhythmisch: Hernando Calvo Ospinas Standardwerk über Salsa, die komplizierte Unbekannte neben Tango und Lambada

Salsa, so durfte ich neulich lernen, ist ein Tanz, den nordeuropäische Touristinnen als Gebinde am Pauschalangebot auf Fuerteventura von glutäugigen spanischen Flamencolehrern eingebimst bekommen. Und einem „Sach-Lexikon Popularmusik“ mit eher hoher Auflage und renommiertem Verlagsnamen auf dem Umschlag entnehme ich, daß Carlos Santana mit „Oye como va“ eine Art Gründungsdokument der Salsa geschaffen hat. Man sieht: Es herrscht anscheinend Informationsbedarf über das Phänomen „Salsa“, das auf jeder Art lateinamerikanischer Musik als Etikett draufklebt, die man nicht sofort als „Tango“ oder „Lambada“ erkennen mag.

„Salsa: Havana Heat – Bronx Beat“ heißt eine erste, partiell nützliche Einführung zum Thema von Hernando Calvo Ospina aus Kolumbien. Das Nützliche an dem hübsch aufgemachten Büchlein ist der Verzicht Calvo Ospinas, „Salsa“ als definierbare musikalische Struktur beschreiben zu wollen. „Die Salsa ist multinational, multikulturell, multimelodisch und multirhythmisch“, stellt er fest – und was sich beinahe als Telos aller benevolenten Drittweltismus- Träume anhört, hat durchaus seine Berechtigung. „Salsa“, so argumentiert Calvo Ospina, ist nur aufgrund der sozialen und politischen und damit auch ästhetischen Migrationen zu verstehen, die im (vor allem karibischen) Raum zwischen Kolumbien und New York passiert sind, bevor man seit ca. 1965 (Gründung von Fania-Records in NYC) von „Salsa“ reden kann. Angefangen hat, so Calvo Ospina, alles sowieso auf Kuba, wo sich afrikanische und europäische Musik (also Melodik und Rhythmik) zu einem nicht nur musikgeschichtlich folgenreichen „Dritten“ vermischt hatten und den gesamten karibischen Raum unter Adaption der jeweiligen dortigen Spezialformen dominieren (denn Afrika und Europa knallten ja nicht nur auf Kuba zusammen; die indianischen und karibischen Kulturen waren weithin ausgelöscht; allerdings steckte in den europäischen Teilen, die aus Spanien kamen, noch arabische Komponenten drin). In New York schließlich mixten alle Immigranten (ob aus Puerto Rico, Panama, Kuba, Kolumbien oder Venezuela) ihre Musik mit den eher US-dominierten Formen von „Jazz“ und „Rock“ (wobei der Jazz natürlich nicht lupenrein US-amerikanisch ist, aber das ist ein anderes Kapitel) zu einer hybriden Form, die man – mangels eines besseren Begriffs und aus ökonomischem Kalkül – „Salsa“ nannte. Salsa wurde bald ein Export-Artikel vornehmlich in die spanischsprachige Welt, beeinflußte dort die verschiedenen Musiken (von der dominikanischen „Merengue“ bis zur kolumbianischen „Cumbia“) und saugte ihrerseits lokale Stile und Formen auf. Für all das bietet das Buch schöne Materialien und Hinweise. Die Rekonstruktionsarbeit muß man selbst leisten, denn Calvo Ospinas Argumentationen gehen wirr durcheinander. Neuere Entwicklungen verfolgt er nicht mehr genauer. Hin und wieder auftauchende rhetorische Emphasen (Salsa als „verzweifelter Schrei inmitten der Nacht“) wirken unfreiwillig komisch.

Dennoch: Ein empfehlenswertes Buch, mit dem man sich einen vorsichtigen ersten Überblick über eine hochfaszinierende Musik, ihre komplizierte Geschichte, Gegenwart und vermutlich auch Zukunft verschaffen kann. Thomas Wörtche

Hernando Calvo Ospina: „Salsa. Havana Beat – Bronx Heat“. Aus dem Spanischen von Yvonne Liedke. Schmetterling Verlag, Stuttgart 1997. 156 S., 29,80 DM