„Menschliche Fehler wird's immer geben“

■ Der Strahlenskandal und die Konsequenzen: Wissenschaftssenator Hajen im taz-Interview

taz: Mindestens 175 Frauen wurden laut Patientenanwalt Wilhelm Funke im UKE verstrahlt. 500 Akten von Patientinnen werden derzeit geprüft. Bereuen Sie, nicht früher eingegriffen zu haben?

Leonhard Hajen: Ich habe immer sehr zügig gehandelt, wenn Fakten auf dem Tisch lagen. Politik und Verwaltung können nicht über medizinische Fehler entscheiden und auch nicht auf Verdacht eingreifen.

Geben Sie also den Vorwurf zurück an die Fachwelt?

Ich hätte von den Gutachtern 1993 erwartet, uns darauf aufmerksam zu machen, daß es zu falschen Behandlungen gekommen sein kann. Statt dessen hieß es: Alles in Ordnung. Erst zwei Jahre später haben wir überhaupt einen Hinweis erhalten, daß dies keineswegs der Fall ist.

Vielleicht hätten Sie 1993 einen neutralen Experten bestellen sollen? Immerhin arbeitete der Gutachter, Professor Michael Bauer, mit dem UKE-Oberarzt Professor Jens Bahnsen zusammen.

Ich habe Professor Bauer nicht ausgesucht. Wir haben damals die Radiologische Fachgesellschaft gefragt, wer uns ein fachkundiges Gutachten über die Behandlungskonzepte erstellen kann und sind dieser Empfehlung gefolgt. Das Gutachten wurde von uns veröffentlicht und damit der ganzen Stadt und der Fachwelt bekannt. Der Vorwurf, ich hätte ein Gefälligkeitsgutachten bestellt, ist somit absurd. Ich habe 1993 nicht mal gewußt, daß es einen Professor Bahnsen am UKE gibt.

Hätten Sie das Bauer-Gutachten angezweifelt, wenn Ihnen die Verstrickung aufgefallen wäre?

Nein. Wenn der Vorsitzende der medizinischen Fachgesellschaft mir Wissenschaftler als Experten empfiehlt, muß ich mich auf die Unabhängigkeit ihres Urteils verlassen können. Deswegen bin ich auch sauer, wenn man mir vorwirft, ich hätte eine falsche Auswahl getroffen. Ich habe gar nicht ausgewählt.

Könnte sich also der Strahlenskandal wiederholen?

Menschliche Fehler wird es leider immer geben. Wir haben inzwischen viel getan, um sie auszuschließen. Wir haben die interne und externe Qualitätskontrolle verbessert. Die Arbeit der Abteilung für Strahlentherapie wird nun von Außenstehenden ausgewertet. Und die Fachgesellschaft hat angekündigt, noch in diesem Herbst Standards für Behandlungen zu formulieren.

Viele fragen sich: Wieso passiert das ausgerechnet an einer Uni-Klinik. Hat die Behörde geschlafen?

Kein Jurist oder Politiker kann beurteilen, ob eine Brust richtig bestrahlt wurde. Wofür wird denn Politik noch alles verantwortlich gemacht? Das ist Aufgabe des abteilungsführenden Arztes. Die Behörde muß prüfen, ob Verfahren zur Qualitätssicherung installiert sind.

Ist das Image des UKE noch zu retten?

Das UKE leistet auf vielen Gebieten Hervorragendes. Um dieses Ansehen zu bewahren, muß auf allen Ebenen deutlich gemacht werden, was sich seit 1993 in der Strahlentherapie verbessert hat. Was vor 1993 geschehen ist, kann bedauerlicherweise niemand rückgängig machen.

Sie beteuern Ihr Interesse an Aufklärung. Nichts anderes will Patientenanwalt Funke. Wieso liefern Sie sich eine Dauerfehde?

Diese angebliche Fehde geht nicht von mir aus. Wie Funke habe ich ein Interesse daran, daß Schadensersatz, wo berechtigt, so schnell wie möglich gezahlt wird. Hier haben wir uns bisher getroffen. Aber ich bin nicht derjenige, der einen medizinischen Gutachterstreit entscheiden kann. Ich bin an die Gutachten gebunden und kann das Recht nicht einfach außer Kraft setzen. Innerhalb dieser Bindung tun wir alles, um betroffenen Patientinnen und Patienten zu helfen.

Dennoch erscheint es schäbig, daß viele verstrahlte Frauen seit Jahren auf ihre Entschädigung warten.

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Ist es etwa schäbig, daß wir den Betroffenen bisher 21 Millionen Mark gezahlt haben? Und daß wir weitere 36 Millionen Mark eingeplant haben? Schadensersatz-Prozesse vor Gericht dauern in der Regel vier bis fünf Jahre. Wir gehen patientenfreundlich vor und zahlen, sobald der Schaden von einem Mediziner festgestellt ist. Das Problem ist: bis zu fünf Prozent aller Bestrahlten können auch bei korrekter Behandlung Schäden erleiden. Krebsbekämpfung ist immer eine Gratwanderung. Mit diesem Risiko muß jeder Patient leben. Gutachter müssen in jedem Einzelfall klären, ob es sich bei den beklagten Schäden um diesen Risikorahmen handelt oder ob sie durch zu hohe Strahlendosierung verursacht wurden.

Werden Sie auch Privatpatientinnen entschädigen?

Warum sollte ich? Alle Ärzte sind versichert und es ist erwiesen, daß Professor Frischbier falsch behandelt hat. Die Privatpatientinnen haben einen privaten Behandlungsvertrag mit Professor Frischbier, nicht mit dem UKE abgeschlossen. Warum soll die Stadt für die Fehler aufkommen? Die individuelle Verantwortlichkeit der Ärzte darf nicht ausgeblendet werden.

Fragen: Judith Weber / Silke Mertins Foto: Steffen Kugler