Zeit der Männer – Zeit der Frauen

■ Über das erzwungene Matriarchat der Nachkriegzeit und das private Glück der Frauen, einen Teil der Mühe und Verantwortung wieder an die Männer abgeben zu können Auszüge eines Vortrages der Bremer Historikerin Renate Meyer-Braun

„Seht Euch die Spielecken der Kinder an. Da steht die Burg mit den Soldaten, Tanks, Kanonen, ein Stahlhelm – Hinweg damit! Die Kriegsbücher der Jungen – ins Feuer ... Bedenkt immer: Aus Knaben werden Männer ...“, schrieb die Bremer Sozialdemokratin Auguste Zscherp am 3. Juni 1945 in einem Aufruf gegen Kriegsspielzeug. Unter der Überschrift „Die Frau und der Krieg“heißt es 1946 in der Zeitschrift „Frauenwelt“: „Frau – Krieg, es sind zwei Begriffe, die nicht zusammen harmonieren. Die Frau, Bewahrerin alles Lebenden – der Krieg, das Prinzip der Vernichtung, das Tötende.“Danach „müßten alle Frauen Kriegsgegner sein“, fährt die Autorin fort. „Das wäre jedenfalls das Natürliche, entspräche der fraulichen Haltung und Aufgabe.“„Die beiden Kriege ... sind die Folge eines einseitig männlich gelenkten Staatswesens,“schreibt der Bremer Frauenausschuß ein paar Jahre später (1948).

Die Frau als Bewahrerin, der Krieg als das Tötende

Die hier zitierten Stimmen von Frauen aus der deutschen Nachkriegsgesellschaft konstruieren eine scharfe Geschlechterpolarisierung. Männer stehen für Krieg, Frauen für Frieden. Die beiden Weltkriege waren danach quasi über die Frauen hereingebrochen, sie hatten mit Vorgeschichte und Ablauf eigentlich gar nichts zu tun. Das männliche Prinzip hatte sich selbst diskreditiert und demnach abzudanken, so der Tenor. Der Ruf nach den Müttern, kurz, dem weiblichen Prinzip, wurde von den Frauen 1945 allerorten angestimmt, bis „alles in Scherben“fiel. Feindbild Mann also? (...) An den genannten Textstellen fällt neben ihrer Polarisierung auf, wie wenig selbstkritisch die Frauen mit ihrem Geschlecht umgehen. Wo waren denn die Bewahrerinnen alles Lebenden „als Fürsorgerinnen und Krankenschwestern für die Aussonderung und Vernichtung von Menschen, die als lebensunwert klassifiziert wurden, mitverantwortlich“waren, als „in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ... Frauen andere Frauen besonders grausam behandelt“haben? (so formuliert es Angelika Ebbinghaus in ihrem Buch „Opfer und Täterinnen“).

Frauen saßen nicht an den Schaltstellen der Macht

Sicher, die Frauen saßen nicht an den Schaltstellen der Macht im Staatswesen und sie sind auch nicht in den Krieg gezogen. Aber sie haben den Krieg an der „Heimatfront“genauso mitgemacht wie die Männer an der Front. Sie haben in ihrer Mehrheit genauso wenig Widerstand geleistet wie die Mehrheit der Männer. Frauen waren in vielerlei Hinsicht auch „Kameraden“des Mannes. Es gab zwischen 450.000 und 500.000 weibliche Angehörige der Wehrmacht, die allerdings keinen Kombattantenstatus hatten. Dieses Kapitel ist bisher wenig erforscht. Diese Frauen hatten bei ihren Einsätzen an der Ostfront als Wehrmachtshelferin durchaus Kenntnis von den Verbrechen der Wehrmacht. Das Frauenbild, das in den zitierten Äußerungen vermittelt wird, ist also offensichtlich ein verkürztes Bild. Obgleich ich eben die Legende von der „Gnade der weiblichen Geburt“und der „Friedfertigkeit der Frau“demontiert habe, muß gesagt werden, daß die Frauen des Bremer Frauenausschusses in gewisser Weise doch recht hatten, wenn sie sagten: Das männliche Prinzip hat versagt.

Richtiger wäre zu sagen: Das propagierte Männlichkeitsideal des Kriegers hatte versagt, das Bild von den „Stahlnaturen“, die, so Ernst Jünger, aus den Materialschlachten des Ersten Weltkrieges hervorgangen waren, dieses Bild, das die Nationalsozialisten übernahmen, hatte ausgedient. Das Ideal des soldatischen Männerbundes, wie es in der Hitlerjugend, in SA, SS und Wehrmacht gepflegt worden war, hatte angesichts der Millionen von Toten, der an Leib und Seele vielfach gebrochenen deutschen Soldaten keine Konjunktur mehr. „Mit dem Untergang des ... Dritten Reiches verschwand denn auch das Männerbund-Syndrom aus der offiziellen politischen Kultur in Deutschland“, so Jürgen Reulecke. (...) „Deutschlands Zukunft liegt in der Hand seiner Frauen“– dieses geflügelte Wort der Nachkriegszeit war nicht nur aus dem Mund von Frauen zu hören, sondern auch männliche Journalisten und Politiker gebrauchten es gern. Sie meinten damit, daß Frauen an dem ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Platz „Deutschlands Zukunft“mitgestalten – und das war die Familie. Männer waren in der Öffentlichkeit voll des Lobes insbesondere, wenn es um die berühmten „Trümmerfrauen“geht. Als es aber um die stärkere Berücksichtigung dieser Leistung etwa bei der Rentenberechnung für Frauen dieser Jahrgänge ging, verstummten die Politiker plötzlich. Die zwar gut gemeinten, aber folgenlosen Heroisierungen werden der wirklichen Funktion von Frauenarbeit in der Mangelgesellschaft der Nachkriegszeit nicht gerecht. Richtig ist, daß Frauen sich nach dem Krieg situationsadäquater verhielten als die Männer. Weil viele Männer gar nicht oder noch nicht zurückgekehrt waren – war die Nachkriegszeit in Deutschland eine Zeit der Frauen. Situationsadäquater will sagen, daß Frauen einfallsreicher, praktischer, weniger wehleidig, weniger verstört waren und deshalb besser mit der Situation fertig wurden als Männer. Ein Indikator für die größere seelische Robustheit von Frauen mag die Tatsache sein, daß die Zahl der Selbstmorde in den ersten Nachkriegsjahren bei Männern signifikant höher war als bei Frauen.

Das lag auch daran, daß für die Frauen das Kriegsende viel weniger als für Männer eine echte Zäsur bedeutete: Improvisiert und gespart hatten sie auch schon im sogannten „wehrhaften“Haushalt müssen, an ihre Opferbereitschaft – allerdings für das „Vaterland“– hatte schon die NS-Frauenschaftsführerin Gertrud Scholz-Klink appelliert. Die Arbeit von Männern hatten sie auch schon während des Krieges übernommen. Männer konnten mit der Umstellung vom Kriegs- auf den Nachkriegsalltag großenteils nur schwer fertigwerden, während ihre Frauen unangefochtene Kompetenz in der Alltagsbewältigung hatten. Das führte nicht selten zu Konflikten, zu einer Entfremdung der Geschlechter, die sich auch in der in den ersten Nachkriegsjahren sprunghaft steigenden Zahl von Ehescheidungen ausdrückte. Männer waren verunsichert, sie fühlten sich in ihrer männlichen Ehre, von der soviel die Rede gewesen war, ja in ihrer Identität getroffen. Schließlich kehrten sie als Geschlagene, als Besiegte heim.

Wie wenig wert, wie wenig der Situation angemessen beispielsweise der Ehrenkodex eines preußischen Offiziers nach 1945 geworden war, zeigt in eindrucksvoller Weise die Geschichte, die Christian Graf Krockow über seine Schwester und Mutter erzählt. In seinem Buch „Die Stunde der Frauen. Bericht aus Pommern 1944-1947“schildert er, wie es darum ging, für das Kleinkind seiner Schwester Spinat zu organisieren. Dazu mußte heimlich nachts in den eigenen gutsherrlichen Garten geschlichen werden, weil die Russen Schloß und Garten requiriert hatten. Der Baron, der alte preußische Offizier, weigerte sich. „Das geht nicht, und er will nicht als Dieb herumkriechen, und die Mutter, die darf das schon gar nicht,“erzählt die alte Haushälterin der zurückgekehrten jungen Frau, der Mutter des Kindes. Die Großmutter des Kindes kriecht aber doch des Nachts durch den Zaun, morgens ist der Spinat da. Der Herr Baron habe „losgeschrien – von der Ehr und von der Schande.“Worauf seine Frau nur gesagt habe: „Es ist nicht um die Ehr–, es ist um das Kind.“Der Autor, der die authentischen Erlebnise seiner Schwester in Pommern nach Kriegsende aufschreibt, läßt seine Schwester über ihren Vater sagen: „O diese Preußen, diese deutschen Männer! Sie sind so tüchtig, einfach fabelhaft, die halbe Welt kann man mit ihnen erobern: die Würde des Amtes und die Aufgabe, die Pflicht und die Ehre, Sieg oder Untergang!

Im Untergang aber, da sind sie auf einmal zu gar nichts mehr nütze, nicht einmal dazu, Spinat zu klauen, und wir, die Frauen, können zusehen, wie wir die Kinder satt kriegen. (...) Man hat sie so erzogen, Generation um Generation. Nur eben: Zum Spinat sich zu bücken und auf dem Bauch zu kriechen fürs schlichte Überleben, ganz ohne Ehre und ohne Amt, dazu taugen sie nicht. Das bleibt dann für uns.“(...) Frauen verhielten sich nun nicht nur entsprechend dem traditionellen Weiblichkeitsmuster, sondern sie entwickelten bekanntlich auch rollenüberschreitende Verhaltensweisen, Verhaltensweisen, die sie sich vorher nicht zugetraut hätten. Dabei bemühten sie sich häufig genug, das Bild von Weiblichkeit, das ihr ferner Mann von ihnen hatte, nicht zu zerstören. Das möchte ich verdeutlichen an einem mir vorliegenden Briefwechsel einer Bremerhavenerin mit ihrem Mann, der sich in französischer Kriegsgefangenschaft befand (Zeitraum 1944-46).

Folgende Situation herrscht: Die Wohnung ist ausgebombt, die geretteten Möbel müssen ständig an anderen Orten untergestellt werden. Die Frau hat drei Kinder zu versorgen, ihre Mutter liegt im Sterben, sie müssen zeitweilig zu sechst in einem Zimmer wohnen, die Frau organisiert Lebensmittel und Kohlen, schleppt kilometerweit schwere Säcke –– und schafft es außerdem, das Geschäft, einen Fischgroßhandel, weiterzuführen. Dabei muß sie sich mit unzuverlässigen Mitarbeitern und anderen Widrigkeiten herumschlagen. Sie klagt nicht, nur selten schimmert so etwas wie Mutlosigkeit durch. Im Gegenteil, sie macht ihrem Mann Mut, schickt ihm besondere Lebensmittel, die sie geschenkt bekommt, versichert immer wieder, er brauche sich keine Sorgen um die Familie und um das Geschäft zu machen. „Du schreibst, daß Du Dir Sorgen um unsere Zukunft machst. Das laß nur, es wird sich schon alles finden.“Gleichzeitig gibt sie ihm zu verstehen, wie sehr alle auf ihn warten und wie sehr er gebraucht werde. Im Zusammenhang mit unangenehmen geschäftlichen Angelegenheiten schreibt sie zum Beispiel einmal: „... jedes Mal denke ich, wenn jetzt solch Kram wieder kommt, bist Du da – und immer noch nicht.“

Dabei wird klar, daß sie durchaus auch diese Situationen zu meistern versteht. Feinfühlig versetzt sie sich in die Situation ihres Mannes, der zutiefst in seiner männlichen Identität getroffen ist, weil er ohnmächtig zusehen muß, wie seine Frau sich abmüht, weil er seiner Rolle als Beschützer der Familie nicht gerecht werden kann. In einer neueren Untersuchung über die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern, die in den Jahren zwischen 1933 und 1943 geboren sind, wurden die Töchter gefragt, welches Bild sie von ihren Müttern vor Augen haben, wenn sie an ihre Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit denken. Dabei kam heraus, daß ein großer Teil – nicht alle – davon berichtet, daß ihre Mütter geradezu aufgeblüht seien, als sie häufig genug allein ohne Mann den Alltag bewältigen mußten und dabei auch Aufgaben übernahmen, an die sie sich vorher nie herangewagt hätten. Es kam zu vielfachen „Grenzüberschreitungen von weiblichen geschlechtskonformen Verhaltensweisen.“Das blieb auf die Entwicklung der Töchter nicht ohne Auswirkung. Die Erinnerung an ihre „starken Mütter“lebte weiter in ihnen und prägte mehr oder weniger intensiv, mehr oder weniger bewußt ihre eigenen Lebensentwürfe, ihre Einstellungen zur Berufstätigkeit und Partnerschaft.

Zurück zur alten Rollenverteilung

Sie erinnern sich auch daran, welche Schwierigkeiten ihre Mütter damit hatten, als nach der ersehnten Rückkehr der „fernen Väter“wieder die alte Rollenverteillung den Alltag beherrschte. (Wunderbar dargestellt in dem Film von Helma Sanders-Brahms „Deutschland, bleiche Mutter“aus dem Jahr 1979). Monika Maron arbeitet in ihrem neuen Roman „Animal Triste“, der voriges Jahr erschienen ist, sehr präzise und provozierend die hier angesprochene Problematik heraus. Maron läßt die Heldin des Romans sagen: „Sie hätten nicht zurückkommen dürfen. (...) Ehe ich merkte, daß alles anders geworden war, fiel mir auf, daß meine Mutter anders lachte. ...Eines Tages klang ihr Lachen plötzlich wie ein aufdringlicher Koloratursopran ... Am wenigsten verstand ich damals, warum meine Mutter ständig behauptete, für die einfachsten Verrichtungen zu ungeschickt zu sein, obwohl ich genau wußte, daß es nicht stimmte. Sogar ich hatte gelernt, Sicherungen mit Silberpapier zu flicken ... Was hätte aus unseren Müttern werden können, wenn sie damals ihr Lachen behalten und zugegeben hätten, daß sie Sicherungen flicken konnten ... Sie haben die Chance dieses vermaledeiten Jahrhunderts vertan.“

Nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung ihrer Töchter, sondern auch im Hinblick auf die Identitätsbildung der Söhne meint die Autorin das. Es heißt nämlich weiter: „In ihrer Macht stand es, einmal die Söhne von den Vätern zu trennen, für dieses eine Mal nur, um zu sehen, was geschieht, wenn niemand da ist, dessen Kriegerpose, dessen Machtwort nachgeahmt werden kann; was geschieht, wenn Söhne und Töchter von Müttern erzogen werden, die ihren Verstand, ihre Lebenskraft und ihr Lachen nicht dem Selbstbewußtsein ihrer Männer zum Fraße vorgeworfen hätten.“„Sie haben die Chance ... verpaßt“– ein schwerer Vorwurf, den eine Schriftstellerin durch den Mund einer autobiografisch geprägten Romanfigur erheben kann, den eine Historikerin aber nicht äußern sollte, will sie nicht selbstgerecht wirken. Ich habe es selbst nach Vorträgen erlebt, die ich gehalten habe, wie ältere Frauen empört und verletzt auf derartige Äußerungen reagiert haben.

Frauen haben mehr ihre Pflicht statt ihre Rechte gesehen

Objektiv ist der Vorwurf ja richtig. Die Frauen sind tatsächlich zu wenig fordernd aufgetreten, haben mehr ihre Pflichten gesehen, als neue Rechte einzuklagen. Aber kann man es ihnen individuell verdenken, wenn ihnen ihr privates Glück wichtiger war als der Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter und sie deshalb wieder rasch in alten Rollen schlüpften? Sie waren froh, einen Teil der Verantwortung an die Männer abgeben zu können. Zu bedenken ist auch, daß es sich bei der Aufwertung der Frauenrolle in der männerarmen Gesellschaft der Nachkriegszeit nur um ein „erzwungenes Matriarchat“gehandelt hat, nicht um ein von den Frauen erkämpftes.

Der Vortrag wurde im Rahmen der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“in Bremen gehalten