In Brieskow-Finkenheerd ruht das Oderwasser in der Sonne. Die Häuser stehen leer. Die ersten Bewohner sind zurück und pumpen ihre Wohnungen leer. Für die Kinder ist die Flut ein Jahrhunderterlebnis. Einige spielen Sandsackhüpfen, der Sohn e

In Brieskow-Finkenheerd ruht das Oderwasser in der Sonne. Die Häuser stehen leer. Die ersten Bewohner sind zurück und pumpen ihre Wohnungen leer. Für die Kinder ist die Flut ein Jahrhunderterlebnis. Einige spielen Sandsackhüpfen, der Sohn eines Bootsbesitzers führt zahlungswillige Hochwassertouristen an die Orte, wo Action ist. Das bringt Taschengeld und jede Menge „Fun“. Nur eins ist „echt Scheiße“: In Brandenburg geht heute trotz Hochwasser die Schule wieder los.

„Ich hoffe, der Ausflug hat Ihnen gefallen“

André Schneider spielt Geschäftsmann. Er hockt in seinem Kahn, der zwischen grünlackierten Straßenlaternen im Wasser dümpelt, und ruft jedem, der vorbeikommt, hinterher: „Woll'n Se mitfahren? Für nur 50 Mark!“ Steven Labe spielt cooler Mann. Er hängt lässig auf seinem Fahrrad, schaut über André und den Kahn hinweg auf das graue Haus mit dem neuen Dach und sagt: „Da hinten, da haben wir mal gewohnt.“ Eric Scheller spielt Sandsackhüpfen. Schon seit Tagen. Seit der Deich in Brieskow-Finkenheerd gebrochen ist, das Wasser in den Brieskower See schwappte und der See überlief in die Häuser an der Seestraße. Im Zimmer von Steven Labe steht das Wasser 40 Zentimeter hoch.

Brieskow-Finkenheerd, Seestraße, Tage nach dem Deichbruch. Das Wasser ruht in der Sonne. Die Häuser stehen leer. Aus den Fenstern im Jugendklub quellen Schläuche. Wasser wird abgepumpt. Die ersten Anwohner sind zurück. Die von Hausnummer 1, die Glück gehabt haben. Das Wasser ist vor der Haustür stehengeblieben. Das Haus liegt etwas höher. Aber auch die von gegenüber sind zurück. Die von Nummer 5, deren Haus etwas tiefer liegt. Das Wasser hat den Vorgarten weggerissen, hat Hof und Garten weggespült und den Keller unterspült. Jetzt, da das Wasser nicht mehr steigt, beginnen sie mit den Aufräumungsarbeiten.

Zwischen den Häusern Seestraße 1 und Seestraße 5 vergnügen sich die Kinder. Noch sind Ferien. Herr Schneider hat zu seinem Sohn gesagt: „Junge, nimm den Kahn und fahr die Touristen übers Wasser. Erzähl denen was. Zeig denen was. Und verdien dir was.“ Herr Schneider ist Besitzer einer Fischerei in Brieskow-Finkenheerd. Er hat viele Boote, auch ein paar Kähne. „25 Mark verdienen ist doch nicht schlecht, oder?“ sagt André. Den Rest muß er abgeben, denn das Spritgeld zahlt der Vater.

Der Suzuki-Motor springt an. André springt auf den Kahn. Los geht's auf der Seestraße. Vorbei am Jugendklub, wo das Wasser bis unter den Billardtisch reicht. Vorbei an den grünlackierten Straßenlaternen, die halb aus dem Wasser ragen. Vorbei am Mietshaus, in dem auch Steven Labe wohnt. „Sie müssen wissen, da wohnt immer noch einer drin“, klärt André auf. „Der Herr Müller, der hat sich geweigert auszuziehen.“ Der Kahn schwebt vorbei an einem Lenkrad, das aus dem Wasser ragt. „Sehen Sie sich das an, da steht ein ganzer Trecker unter Wasser.“ Vorbei auch am alten Kraftwerk, „das zur Zeit eigentlich abgerissen werden sollte“. Wegen des Hochwassers gehe das natürlich nicht, meint André. Irgendwann hält der Blondschopf an. „Jetzt können Sie aussteigen und zu der Stelle am Deich laufen, die gerissen ist.“ Fünf Minuten Fußmarsch für die Hochwassertouristen. Fotos von der Rißstelle. Vom durchrauschenden Wasser. Dann geht's zurück. „Ich hoffe, der Ausflug hat Ihnen gefallen.“

Steven Labe hängt noch immer auf seinem Fahrrad. Hat sich eine Pall Mall angesteckt und quatscht mit Betje und Ulrike, den beiden Mädels aus Frankfurt (Oder), die zu Besuch in Brieskow-Finkenheerd sind. „Wir wollten mal sehen, wie das hier ist“, sagt Betje. Zwar liegt auch Frankfurt im Hochwassergebiet, aber dort ist es längst nicht so spannend wie hier. Steven zieht an seiner Zigarette und sagt den Mädchen: „Ist doch alles Scheiße.“ Er wohnt jetzt bei seiner Oma, hier im Dorf. „Zum Glück hat die ein großes Haus.“ Aber auf Dauer sei das nichts. Zurück ins Haus an der Seestraße? „Nee“, sagt Steven. Die Eltern hätten sich entschieden wegzuziehen. Rüber ins Nachbardorf nach Groß-Lindow. „Eine Wohnung haben die sich schon angeschaut.“ Weg aus Brieskow-Finkenheerd? „Halb so schlimm“, meint Steven und schnippt die Kippe ins Wasser. „In Lindow ist wenigstens mehr los als hier.“ Was gebe es denn schon in Brieskow? Klar, Kneipen. Da hängen die Jugendlichen ab. Aber sonst? Der Jugendklub? „Nee, da geh' ich nicht rein.“

Eric ist zurück von seiner Tour über die Sandsäcke. Bleibt stehen vorn an der Seestraße, schaut zum Jugendklub und zu den Schläuchen, die raushängen. „Ich habe den mit aufgebaut, vor einem Jahr.“ Und nun, kurz bevor das Hochwasser kam, hat er ihn mit ausgeräumt. Die HiFi-Anlage steht jetzt in seinem Zimmer, auch der Computer. „Is' geil, einen Computer zu Hause zu haben.“ Er hat ihn angeschlossen. Die HiFi-Anlage nicht. „Mir fehlen die Boxen.“

Am Rande des Hochwassers klönen die Kids von Brieskow. „Klar, das ist auch ein großer Fun“, sagt Steven. „So was gesehen zu haben ist ein Jahrhunderterlebnis“, sagt André. „Wieso sollte ich das nicht gelassen nehmen?“ fragt Eric. Nur eines sei echt Scheiße: Die Schule gehe wieder los.

„Wir fangen erst mal ganz normal an“, sagt Gundula Diederich, die stellvertretende Schulleiterin der Gesamtschule Brieskow-Finkenheerd. Wie viele der 260 Kinder kommen werden, sei aber nicht klar. Wiesenau, Aurith, Ziltendorf, die Dörfer, die zum Einzugsgebiet der Schule gehören, stehen noch immer unter Wasser. „Wir wissen ja nicht, wo die Kinder jetzt sind.“ Carola Miersch, die Geographielehrerin, hat sich auf Fragen ihrer Schüler vorbereitet. Auf fachliche: Wie es zu dem Hochwasser kommen konnte. Warum Wälder in Tschechien abgeholzt werden. Aber auch auf andere: Wurden Deiche in der Ziltendorfer Niederung gesprengt? Wurde dieser relativ dünn besiedelte Landstrich geopfert, um Frankfurt (Oder) zu schützen? „Diese Fragen sind in den Köpfen der Kinder. Da muß man doch was zu sagen.“ Jens Rübsam, Brieskow