Airbrusher Jörg Reimers aus Weyhe-Jeebel verwandelt Motorräder im Farbnebel in lustige/grausige Kunstwerke

Uns Motorradfahrer quält ein Problem: wir fühlen uns einzig wie Peter Fonda und Dennis Hopper, einsam von den Stürmen des Daseins umbrandet und dennoch aufrecht und unabhängig unseren Weg beschreitend; und den fahren wir ab mit einem Japaner von der Stange, wo jeder letzte Dichtungsring katalogisiert und nummeriert ist, das Design von böswilligen Marionettenspielern genauestens auf unseren durchsichtigen, banalen Puppengeschmack zugeschnitten wurde. Und beim Ledercombi hängt der Hintern eh längst in den Kniekehlen. Alles eben uncool. Gefühl und Optik stimmen nicht überein.

„Die meisten kommen zu mir, weil sie sich unterscheiden wollen“, sagt Jörg Reimers aus Weyhe-Jeebel.

Jörg Reimers bemalt Motorradtanks und Motorradhelme. Und zwischendurch kommt ihm mal ein Telefon oder ein PC-Turm unter die Spritzpistole. Er tut's in seiner Freizeit. „Davon leben kann kaum einer. Viele Motorradfahrer jubeln in hellster Begeisterung beim Anblick eines gebrushten Helms, 500 bis 1000 Mark für die Bemalung hinlegen wollen aber deutlich weniger.“

Die erste Durchsicht von Reimers Musteralbum enttäuscht ein wenig. Wo sind die nackten Heldinnen der Fantasiewelt, die mit Mut und Entschlossenheit gegen diverse Sorten von Ungeheuern kämpfen. Wo ist ihr undurchdringlicher, abweisender Blick, ihr Hintern, spiegelblank gescheuert wie Mutterns Küchenplatte, ihr Busen mit den neckischen Glanzpünktchen. Als Beitrag zur Kultur der weiblichen Emanzipation ist diese Malerei noch nicht gebührend erkannt worden und soll jetzt aussterben? „In den 80er Jahren plünderte wirklich jeder Airbrusher den Bildervorrat von Boris Vallejos Fantasiebuch „Mirago“. Seine Motive blitzen von endlos vielen Harley-Tanks. Das ändert sich allmählich. Ich kann einige meiner alten Fantasie-Arbeiten gar nicht mehr sehen.“

Reimers Kunden favorisieren heute Cartoons, von Fred Feuerstein bis Bugs Bunny, abstrakte graphische Bilder oder inhaltliche Spielereien mit dem Bildträger, also Helm, Tank, whatever. So wie viele Fassadenmalereien fiktive Fenster und Innenräume auf den Wänden simulieren, so zeigen Reimers Helme das Leben unter und auf der Schädeldecke. Nein, keine Flöhe. Aber da orderte zum Beispiel die pfiffige Belegschaft eines Grafikbüros für ihrem Chef zum Geburtstag einen Helm, auf dem minutiös dessen Glatze abgebildet war, Nichthaar für Nichthaar. Genial so ein Gag, wo der Adressat nicht unterscheiden kann, ob er nett oder fies ist.

Die Streetfighter-Szene dagegen, das sind die, die auf Zeitungsbildern immer ihre Hinterreifen ,verbrennen'“, wünscht es martialischer. Da simuliert ein Helm dann Durchblick zum rohen Muskelfleisch oder gleich bis zum Schädelknochen darunter. Biken, this is the end my friend! Mad Max-Trash-Ästhetik mit ihrer spannenden Mixtur aus Ekel, Faszination und Klamauk. Überhaupt knüpft Reimers gerne bei den Dingen an, die er zum Bemalen vor der Nase hat. Über einen PC-Turm läßt er Zahlenorgien fließen - und dann müde auströpfeln. Aus einem Tank scheint Flußwasser hervorzuschießen, mitten aus einer paradiesischen Landschaft. Für die psychische Bewältigung deutschen Autobahnstauelends kann so ein Wegträumtank hilfreich sein. Vielleicht wurde so schon mancher Flensburg-Punkt für Seitenstreifenüberholen verhindert.

Airbrushen wird nicht an Universitäten unterrichtet. Der Airbrusher ist notgedrungen Autodidakt, „Eigenbrötler, Arbeiter im stillen Kämmerlein“, ein Sonderling im besten Sinn und findet zu seiner Berufung auf den Schleichwegen des Zufalls. „1982 beeindruckte mich eine Reportage in irgendeiner Motorradzeitung über die airgebrushten Harley's die sich zur „Speedweek“Anfang März in Daytona Beach einstellen zur gegenseitigen Bewunderung.“In die gebrauchte Erstausrüstung (Kompressor, Spritzpistole und die fünf Grundfarben) inklusive Do-it-yourself-Ratgeber investierte Reimers 350 Mark. Mittlerweile ist sein Equipment auf einen Wert von 10.000 Mark angeschwollen. Für alle Erfordernisse des Malerlebens zwischen der Wolkigkeit von, na ja, Wolken, Hintergründen, Bergpanoramen bis zur Präzision von Gräsern, Haar, Konturlinien verwendet er zehn verschiedene Spritzpistolen, darunter die Paasche Turbo für 1000 Mark, die Queen unter den Pistolen, von Herrn Paasche um die Jahrhundertwende in Amerika entwickelt. Reimers Bildungsroman umfaßt viele interessante Stationen. 1988 besuchte er Daytona, war enttäuscht und befriedigt: „Brush-technisch kann man da nichts lernen. Die Qualitäten der Amerikaner liegen eher im Pinstriping und in Blattgoldarbeiten. Pinstriper verzieren den Tank mit feinsten Ornamentlinien. Bei BMW und Harley machte man das bis vor kurzem noch per Hand. Da braucht es teuflische Geduld. Überhaupt haben die Amis eine andere Brushkultur. In Florida am Strand werden T-Shirts nach Wunsch besprüht. Faustregel: nen Dollar pro Minute.

In seinem Arbeitsraum hat Reimers eine kleine Bibliothek mit Bildanregungen. Sie reichen vom immer seltener benutzten Vallejo über Edward Sheriff Curtis historische Fotos von den Indianern Nordamerikas und Gottfried Helnwein, „beileibe nicht der einzige Scientologyanhänger unter den Brushern“bis zum genialen Kunstkarikaturisten Gerhard Haderer. Mittlerweile entwickelt Reimers immer öfter eigene Motive. Die kommen, wenn kein Auftrag vorliegt, auf Karton. Natürlich nur auf Schöllerhammer 4 G dick, mehrfach verleimt. Da findet man dann schon mal Reimers symbolisch verklausulierte Ansichten zum Rambokult oder zum §218 wieder.

Die „eigenbrötelnde“Brusher-szene hat mittlerweile ihre Institutionen gefunden. In Castrop-Rauxel, in Niedernhausen bei Wiesbaden und bald auch in der Nähe von München gibt es spezielle Brushermessen. Brusherzeitungen mit kunterbunten Arbeitsanleitungen zur Erzeugung glitzernder Papageiaugen und struppiger Faultierschwänze schießen ins Kraut.

Derweil geht Jörg Reimers zu Hause in Weyhe-Jeebel seiner Arbeit nach: „Kleben und messen! Du mußt messen wie ein Weltmeister, damit so ein Helm auch symmetrisch wird.“Ein Golfspieler bestellte eine Golfszene für den Hinterkopf, ein Unternehmer ließ sich sein Firmenlogo übers Hirn streuen, ein dritter kaufte gleich drei verschiedene Tanks zum Variieren – je nach Stimmungslage, ein vierter zog sein letztes Hemd aus um Reimers bezahlen zu können. Verschiedene Typen, vereint durch ein Gefühl: born to be wild. Jörg Reimers ist der Geburtshelfer. bk

Barbara Kern