Zwei Kerle, die hart am Leder bleiben

Allem Anschein zum Trotz: Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine sind sich gar nicht so feind. Ihr Spaziergang sollte den Genossen vielmehr signalisieren: Nehmt uns als Vorbild!  ■ Aus Bonn Markus Franz

Zwei Bolzer stehen verschwitzt nebeneinander. Sie haben gegeneinander gespielt, und wie sie miteinander scherzen, wirken sie wie gute Kumpels. Der eine hat einen starken Drang zum Tor bewiesen. Der andere war eher Lenker im Mittelfeld. Er, den sie „Acker“ nennen, sagt nach dem Spiel von seinem Konkurrenten: „Der hat doch viel Übersicht bewiesen.“ Und der erwidert: „Ein Wirbelwind. Unheimlich gefährlich.“

Das war am 3. September 1988. Die Gegenspieler bei einem Altherrenspiel waren SPD-Chef Oskar Lafontaine und der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder. Neun Jahre später sind beide fülliger geworden, ansonsten ist vieles gleichgeblieben. Noch immer sind sie Konkurrenten, aber auch Kumpels, und während der eine lenkt, versucht der andere, die Tore zu schießen.

Da sitzen sie nun auf einer Mauer an der Saar, und man mag sich fragen, warum eine Horde Journalisten zwei Männer auf einem Spaziergang begleiten, die keinerlei Interesse daran haben, auch nur irgendeine Frage zu beantworten. Sie haben sich gerade deshalb getroffen, um der Partei zu signalisieren: Genossen, wir verstehen uns prima, wir haben keine nennenswerten Differenzen – selbst nach den jüngsten Interviews von Schröder nicht. Nehmt uns zum Vorbild, und laßt es nicht zu einem Sommertheater kommen.

Dennoch ist Schröders Besuch im Saarland nicht nur eine einmalige Showveranstaltung. Schon bei der Taufe von Lafontaines Sohn war Schröder als einer von nur zwei Politikern geladen. Und zur Landtagswahl 1990 war Schröder eigens angereist. Zur Zeit telefonieren sie zwei- bis dreimal wöchentlich miteinander.

Lafontaine und Schröder überraschen alle, die einen erbarmungslosen Zweikampf zwischen ihnen vorausgesehen haben. Grund genug gäbe es dafür. Beide wollen Kanzlerkandidat werden und nehmen bei der Verfolgung ihrer Interessen wenig Rücksicht. So stach Schröder 1986 die von seiner Partei als Spitzenkandidatin für die Landtagswahl vorgesehene Anke Fuchs durch seine Selbstnominierung aus und demontierte später die Parteivorsitzenden Björn Engholm sowie Rudolf Scharping. Lafontaine setzte Mitte der 80er im Alleingang Hans-Ulrich Klose als Schatzmeister gegen Klaus Wettig durch und übernahm im November 1995 handstreichartig den Parteivorsitz von Rudolf Scharping.

Doch Schröder kann sich nicht noch einmal erlauben, illoyal zu sein. Er sagt selbst, daß er aus seinem Verhalten gegenüber Scharping gelernt habe. Es wurmt ihn weniger, hinter dem als Parteichef erfolgreichen Saarländer zurückzustehen als hinter Rudolf Scharping, den er lange nicht so respektiert. Dies belegt unter anderem seine Äußerung im Stern-Interview über Oskar Lafontaine: „Ich weiß nicht einmal, wer es besser könnte, obwohl ich eine Menge von mir halte.“

Beide empfinden Sympathie füreinander. Sie haben den gleichen Humor, sind jungenhaft, lebensbejahend und machtbewußt. Und schließlich wissen beide, daß sie sich brauchen. Für Lafontaine wäre es zu riskant, angesichts seiner Umfragewerte auf seine Kandidatur zu pochen. Schröder wiederum profitiert davon, daß Lafontaine – wie er selbst es nicht könnte – seine Partei mit eiserner Hand auf Konfrontationskurs zur Regierung zwingt und damit die Basis für einen Wahlerfolg der SPD legt.

Wie gut die Partnerschaft zwischen Lafontaine und Schröder funktioniert, zeigte sich durch das umstrittene Interview von Schröder, in dem er für mehr Law and order eintrat. Die Grünen empörten sich, Union und FDP höhnten, und einige SPD-Politiker aus der zweiten Reihe beschwerten sich. Oskar Lafontaine schwieg.

Noch vor zwei Jahren setzte er sich selbst in die Nesseln, als er eine Zuzugsbeschränkung für Aussiedler forderte. Doch die Zeit eigener provokativer, die Partei spaltender Stellungnahmen ist vorbei. Für ihn steht im Vordergrund, mit einer geeinten Partei der Regierung das Leben so schwer wie möglich zu machen. Dafür soll Schröder nun die Stimmung für andere Themen antesten und neue Wählerpotentiale erschließen. Ein Vertrauter Schröders sagt: „Das ist kein strategischer Entwurf, aber das hat sich so herausgebildet.“

Nur Augenwischerei? Plausibel wäre schließlich folgende Argumentation: Schröder kämpft nicht nur gegen Kohl, sondern auch gegen Lafontaine. Es fragt sich auch, ob Lafontaine die Partei nicht bereits bewußt von Schröder entfernt hat. Der SPD-Chef hat seine Partei zu Positionen verdonnert, die Schröder als Kanzlerkandidat nur schwer mittragen könnte. So etwa zur Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe, zum Einsatz für die internationale Harmonisierung von Steuern und Abgaben, zur Beibehaltung des Spitzensteuersatzes, zum unbedingten Eintreten für den Euro, zur Einführung der Ökosteuer. Wie sich beim SPD- Steuerkonzept gezeigt hat, können sich beide zusammenraufen. Ihr Kompromiß sieht nun eine höhere Mineralölbesteuerung von sechs Pfennig pro Liter vor. Und zudem hat Schröder ein unschätzbares Kapital: Er kann seine Nase nach dem Winde drehen, ohne daß es seiner Popularität großen Abbruch tut.