Fickt das Phantom

■ Comics über die Definitionsmacht von Pop und Punk: Michalkes „Artige Zeiten“ und Golschinskis „Krm Krm 4“

Die Popkritik liebt Absetzungen und Definitionen. Das gilt auch für den Comiczeichner Andreas Michalke, der uns in der Heftserie „Artige Zeiten“ von seinem – und damit dem einzig möglichen – Weg zum Untergrund über Punk und HipHop erzählt. Fein trennt er zwischen seiner hart errungenen Authentizität und der bloßen Fassade heutiger MTV- Kids. „Falsche Eingeweihtheit“ steht auf einem T-Shirt. Die eigene Geschichte ist zum Glück die bessere: Klar war er schlecht in der Schule und entdeckte bei einer Reise nach Florida ein Punkfanzine, das „war den deutschen Punkfanzines um Jahre voraus“.

Kann Punk noch mehr sein als schlappes Selbstzitat? Michalkes Besserwisserpose wirkt bei aller Sehnsucht nach Dissidenz ziemlich angestrengt. Seinen Witz entfaltet der Zeichner eher auf Nebenschauplätzen, etwa wenn von Panel zu Panel der Schriftzug auf einem T-Shirt wechselt. Oder mit seinem wunderbaren Anti-Musical-Aufkleber „Fickt das Phantom“, der ihm eine Strafanzeige eingebracht hat. Aber wenn es um Musik oder Dress codes geht, wird mit den schlechten Zeiten abgerechnet wie einst in der kritischen Theorie.

Der Großkritikergestus hat einige Leerstellen, etwa wenn die Humorlosigkeit und das Unsexysein der Deutschen beklagt wird. Besonders Michalkes als Märchencoverversionen getarnte Fickgeschichten sind von schulmeisterlicher Ironie, in der die Männermagazinvorlage ungewollt deutlich hervortritt – „Au ja, fick mich.“

Das beste an „Artige Zeiten“ sind ohnehin die Episoden von Minou Zaribaf mit ihren lustig männermordenden Frauen, die sie kantig und gewollt ungelenk zeichnet. Im letzten Heft allerdings spielt sie mit dem Interieur von 1001 Nacht: Ein Mann bekommt keine Feenkönigin, weil er sie zu früh will und sich nicht mehr mit ihren Dienerinnen abspeisen läßt. Das klingt nach unbefleckter Braut und der Moral der Fünfziger.

Auch Markuss Golschinski erzählt in „Krm Krm 4“ von seiner Punksozialisation: Konzerte, Schlägereien, Pogo, Demos, Sex. Aber er wählt einen klugen Kunstgriff, damit es sich nicht wie gute alte Geschichten aus einer besseren Zeit anhört. Er verzichtet auf Sprechblasen und reduziert so die Geschwindigkeit des Panels. Zwischen Bild und Text läßt er viel Platz. Manchmal paßt der Text überhaupt nicht zum Bild, manchmal erzählt das Bild seine eigene Geschichte. Dabei kommt ein seltsamer Humor zum Tragen, etwa wenn er zur Bildunterschrift: „Ich möchte mehr“ eine Tischfußballszene zeichnet. Nach dem letzten Heft, das mit ähnlichen Mitteln Bravo zu dekonstruieren versuchte, hat Golschinski jetzt seine Mischung zwischen Punkverklärung und Alltag gefunden: Bei Family 5 und Tote Hosen fängt es an, und mit dem Studium endet die Geschichte. Eine Jugend in Deutschland hieß so etwas früher. Martin Zeyn

Markuss Golschinski: „Krm Krm“ Heft 4. Reprodukt 1997, 8DM.

Michalke/Zaribaf: „Artige Zeiten“ Heft 7, Reprodukt 97, 8DM