Personalchefs betreiben De-Luxe-Auswahl

■ Lehrstellen als Mangelware: Für immer mehr Schulabgänger gibt es immer weniger Ausbildungsplätze. Derzeit suchen noch 11.300 Jugendliche eine Stelle in einem Betrieb

„Die Betriebe schneiden sich ins eigene Fleisch.“ Ingrid Arbeitblank, Berufsberaterin beim Arbeitsamt Südwest, findet, daß die Unternehmen viel zu hohe Hürden für ihre Azubis aufbauen. Viele Büros würden nur Abiturienten in die Ausbildung nehmen, und um in einem Kaufhaus zum Verkäufer ausgebildet zu werden, reiche ein Hauptschulabschluß nur selten. „Wenn die überqualifizierten Leute dann keine prickelnden Aufstiegschancen haben, langweilen sie sich schnell“, hat die Berufsberaterin beobachtet.

Doch die Personalchefs können sich eine Auswahl „de Luxe“ beim Durchforsten von unzähligen Bewerbungen leisten. Obwohl die Ausbildungssaison in Hotels und Banken längst begonnen hat, suchen noch immer 11.300 Jugendliche über die Arbeitsämter einen Ausbildungsplatz in einer Firma – die meisten vergebens. Das Landesarbeitsamt gab nun bekannt, daß nur noch 1.084 Stellen unbesetzt sind. Lediglich Friseure, Bäcker und Fleischer brauchen noch Lehrlinge. Dazu kommen 1.600 Plätze, die durch ein Sonderprogramm von Bund und Ländern gefördert werden.

Die Schere zwischen Suchenden und Plätzen öffnet sich also auch in diesem Jahr weiter. Während die Betriebe drei bis fünf Prozent weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, sind immer mehr Jugendliche – teilweise schon seit Jahren – auf der Suche. Waren es 1995 insgesamt 26.948, so suchten dieses Jahr allein bis Juli 29.064 Jugendliche eine Stelle.

Es drängen auch immer mehr Abgänger aus den allgemeinbildenden Schulen auf den Arbeitsmarkt. 1995 waren es 31.984, mittlerweile ist die Zahl auf fast 35.000 angestiegen. Im Jahr 2000 sollen nach einer Modellrechnung des Senats sogar 37.000 junge Leute die Schule verlassen. Geburtenschwache Jahrgänge sollen die Schülerzahlen erst ab dem Jahr 2005 wieder zurückgehen lassen.

Vielen Jugendlichen bleibt der Weg ins Berufsleben über die duale Ausbildung versperrt. Dieses Jahr wird die Statistik 2.000 Jugendliche aufführen, die unversorgt bleiben, meint Marco Steegmann. Doch für den Landesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes schönt diese Zahl die Realität. Zwischen 6.000 und 8.000 Jugendliche würden in Warteschleifen wie Lehrgängen oder Berufsfachschulen untergebracht und tauchten deshalb in der Statistik nicht auf. Da die Jugendlichen lieber in Betrieben ausgebildet würden, würden alleine unter den Berufsschulpflichtigen unter 18 Jahren bis zu 75 Prozent ihre Lehrgänge abbrechen.

Die Warteschleifen verlagern das Problem des Lehrstellenmangels also nur auf die kommenden Jahre. Schon im vergangenen Jahr hatten 40 Prozent der jugendlichen Arbeitssuchenden die Schule ein bis mehrere Jahre zuvor verlassen, teilt Manfred Roosch vom Landesarbeitsamt mit. „Die Zahlen sehen gut aus, aber natürlich machen die Leute irgendwas und sind nicht versorgt.“ DGB-Jugendsekretär Steegmann spricht gar von „Blindheit“, wer den Lehrstellenmangel nur als temporäres Problem sieht. Von der Bundesregierung fordert er die Verwirklichung des Konzeptes, nach dem die Ausbildungskosten auf die Gesamtheit der Unternehmen umgelegt werden sollen. Der Bundestag wird im Oktober über einen entsprechenden SPD- Antrag beraten. Basil Wegener