■ Ökolumne
: Gestatten, Bedenkenträger! Von Michael Müller

Ein Rauschen ging durch den Blätterwald: Die „deutsche Krankheit“ aus Angst, Schwarzmalerei und mentaler Erstarrung führe, so Roman Herzog im Berliner Hotel Adlon, in den Abgrund. Deutschland sei zu langsam. Der Starke siegt, der Schnelle frißt den Langsamen. Die konservative Heilslehre ist einfach: Tempo, Tempo. Die Aufholjagd müsse beginnen, damit Deutschland wieder in der ersten Liga spielt.

Neue industrielle

Zivilisation; globale Gesellschaft des Informationszeitalters; die unglaubliche Dynamik des freien Marktes. Darin ist sich der Bundespräsident mit dem letzten Stammtisch und den Interessenvertretern in den Vorstandsetagen der Global Player einig, doch Antworten für Morgen sind das nicht.

Schon die Fragen nach den Ursachen der Veränderungen und dem Wohin des Fortschritts werden als Ausdruck einer tiefen geistigen Krise entlarvt. Deutschland, so auch Gerhard Schröder, dürfe sich den „Luxus der Langsamkeit“ nicht länger leisten. Was meint er bloß, wo die Riege der Tempomacher alles tut, um die ökologische Modernisierung, die wichtigste Zukunftsinnovation für das nächste Jahrhundert, zu erschweren oder zu verhindern? Die Politik macht sich zum Diener einzelwirtschaftlicher Interessen und erklärt damit ihren Bankrott. So inhaltsleer, geschichtslos und radikal war die öffentliche Debatte noch nie.

Richtig ist, daß sich die Republik auf einer abschüssigen Bahn befindet. Die kapitalistische Weltrevolution stellt nahezu alles in Frage, was bisher Zusammenhalt und Perspektive ermöglicht hat. Die ökologische Erneuerung kommt nicht voran. Die Orientierungslosigkeit nimmt zu und mit ihr die Angst vor einer unsicheren Zukunft. Das macht nicht weniger, sondern mehr, vor allem bessere Politik notwendig.

Seit den Achtzigern hat sich aber die Bundesregierung in den Dienst der Befreiung kapitalistischer Energien gestellt. Der rheinische Kapitalismus, der noch den Ausgleich zwischen den Interessen von Kapital und Arbeit zuließ, ist passé. Nun sind die Energien frei, und das Ergebnis ist verheerend. Der Widerspruch zwischen Zukunftswissen und Alltagsentscheidungen ist gefährlich groß geworden. Doch das Schreckenspanorama über den Standort D vernebelt die Gehirne.

Es gehört zur Verantwortung der SPD, diesem ohnmächtigen Zeitgeist zu widersprechen. Anpassung hieße, an sozialer Spaltung und ökologischer Zerstörung mitschuldig zu werden. Die Behauptung, „moderne Wirtschaftspolitik“ sei „weder rechts noch links“ (Gerhard Schröder), ist falsch. Kant hat uns gelehrt, daß Pragmatismus Handeln nach moralischen Grundsätzen sein muß.

Doch die Frage nach Alternativen wird von den Jockeys des globalen Sachzwangs als Zumutung und Beleg für Erstarrung und Lähmung diffamiert. Sie reiten die schnellsten Gäule, die des „freien“ Marktes. Auf der Rennbahn der entfesselten Globalisierung kann nur gewinnen, wer das Tempo des Laissez-faire- Kapitalismus immer weiter steigert. Für die schlanke Wirtschaft brauchen wir den schlanken Staat, aus dem am Ende die schlanke Demokratie wird.

Es ist das Abdanken der Politik, wenn sie ihre Beschlüsse Selbstverpflichtungen der Wirtschaft unterordnet. Es ist falsch, wenn Umwelt- und Sozialpolitik von konkurrierenden Ländern abhängig gemacht oder die Umweltpolitik zum Helfer der Wirtschaft herabgestuft wird. Was soll das Gerede von der Zivilgesellschaft, wenn sie keine handlungsfähigen Institutionen hat? Politik muß heute gestalten, vor allem ökologisch.

Deshalb verhindern falsche Schuldzuweisungen an die Ökobewegung, sie sei ein Jobkiller, daß es zu einem neuen gesellschaftlichen Bündnis für soziale und ökologische Reformen kommt. Wer hat denn in den vergangenen Jahren bei den großen Zukunftsaufgaben geblockt und bremst sie noch immer? Es ist nicht die Umweltbewegung, die den Ausbau der Solarenergie verhindert, die Bundesregierung von der ökologischen Steuerreform abhält, oder die mit der Verlagerung ihres Standortes droht, wenn es zur Verkehrswende kommt? Für 1998 braucht unser Land eine Alternative, nicht den Neuaufguß des Gescheiterten.