■ Querspalte
: Marmor, Stein und Gott

Bei so mancher Gelegenheit hat sich Gott als reichlich unzuverlässiger Geselle erwiesen. Als die Schwermut dem König Saul wieder einmal das Herz schier abdrücken wollte, ließ er den jungen David kommen, damit er ihn erheitere mit seinem Harfenspiel. Bald darauf freilich entzog Gott dem Saul seine Gunst und wandte sie an den jungen David. Denn Saul hatte insubordiniert und in einer Bataille zu wenig Amalekiter kaltgemacht. Saul ergrimmte, versündigte sich aber diesmal wohlweislich nicht an Gott, sondern hielt sich an den Sänger David und trachtete, ihn mit einem Speer zu durchbohren.

Die Liebe nämlich, sie höret nimmer auf, sagt Johannes, und Paulus trötet fröhlich hinterdrein, daß man nichts sei ohne sie, oder bloß eine tönende Schelle. Und so sehr liebte Gott seine Menschen, daß er nach Saul auch dem David sauber zusetzte, wenn der für seinen Geschmack zuviel hinter den Röcken her war oder sonst nicht recht spurte. Soviel double bind war nie.

Ein auch schon etwas betagter, einst durchaus gemeinhin bekannter Sänger aus unserem Lande stimmt jetzt ein seltsam Hohes Lied an. Drafi Deutscher, der David quasi des deutschen Schlagers, stieg gestern in der Kieler St.-Matthäus- Kirche auf die Kanzel und behauptet wider alle Lebenserfahrung: „Marmor, Stein und Eisen bricht / aber Gottes Liebe nicht.“

Man hört förmlich die Harfensaiten, in denen sich der Sänger vergreift, und wer bislang noch nicht schwermütig ist, muß es endlich werden. Nun hat man ja schon von mancher Hur gehört, die sich im reifen Alter zur Betschwester verbessert hat, aber was will uns Drafi Deutscher sagen? Daß Dämmebauen eitel ist und Glockenläuten und eine klassische Allianzversicherung am ehesten helfen gegen alle Hochwässer? Daß auch ein Alkoholiker manchmal Licht sieht am Ende der Flasche? Oder doch nur die Frohe Botschaft verkünden, daß es der liebe Gott länger mit ihm ausgehalten hat als Isabell Varell? Willi Winkler