Alltägliche Vorgänge, hart an der Schamgrenze

■ Ein Fundfilm über die Deportation Dresdner Juden soll bei einer großangelegten Erinnerungswoche gezeigt werden. Kritiker halten diese Aktion für Shoa-Busineß

Als 1942 dreihundert jüdische Arbeiter der Dresdner Zeiss-Ikon- Werke mit ihren Familien in einem Barackenlager im Norden der Stadt interniert wurden, wußte der Tagebuchschreiber Victor Klemperer zu berichten, daß das bislang Schlimmste dabei die „Entlausung der Frauen“ gewesen sei und die Tatsache, daß „sie von der Gestapo photographiert“ wurden. In Dresden ist nun ein Filmdokument aufgetaucht, das, so der Titel, „Die Zusammenlegung der letzten Dresdner Juden in das Lager am Hellerberg am 23./24. November 1942“ festhält. Es zeigt die Räumung des „Judenhauses“ in der Sporergasse, die entwürdigende Prozedur in der „Städtischen Entseuchungsanstalt“ sowie die Ankunft in dem primitiven Barackenlager am Stadtrand.

Die Bilder illustrieren, was Norbert Haase, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die „Alltäglichkeit des Vorgangs“ nennt: Während die Juden unter Aufsicht der Gestapo ihre Habseligkeiten auf einen Lkw laden, hasten Passanten vorüber. Haase fordert, daß das einzigartige Zeitzeugnis in öffentliche Hände übergeben wird. Wem jedoch der Film gehört und wie damit in der Öffentlichkeit umzugehen ist, darüber wird in der sächsischen Landeshauptstadt derzeit gestritten.

Bereits 1995 hatte der Dresdner Fotojournalist Erich Höhne das gut 20minütige, stark in Mitleidenschaft gezogene Zelluloidfragment dem Dresdner Filmhistoriker Ernst Hirsch übergeben. Die Entstehungsumstände des Films wurden allerdings erst kürzlich bekannt, als der ehemalige Laborchef von Zeiss-Ikon, der 85jährige Walter Rieder, berichtete, er sei seinerzeit vom Vorstand des Unternehmens beauftragt worden, die Einrichtung des Lagers, einer Durchgangsstation auf dem Weg nach Auschwitz, festzuhalten. Der inzwischen hochbetagte Höhne führte die Kamera, zu dokumentarischen Zwecken, wie Hirsch vermutet. Durch einmontierte Zwischentexte erkennt man jedoch eine eindeutig propagandistische und antisemitische Intention, die wiederum durch die eindringlichen Porträtaufnahmen der Verfolgten konterkariert wird.

Gemeinsam mit dem Berliner Filmemacher und Sat.1-Redakteur Ulrich Teschner hat Hirsch eine filmische Spurensuche gedreht, die von den historischen Aufnahmen ausgeht und ehemalige Dresdner Juden in Israel und in den USA zu Wort kommen läßt. Eine medienwirksame Erinnerungswoche, die Teschner aus Anlaß des 55. Jahrestages der Einrichtung des Lagers im November plant, sorgt nun für Kontroversen. Höhepunkt soll eine Erinnerungsstunde auf dem Hellerberg sein, bei der dreihundert Windlichter angezündet und „etwa drei Festredner“ reden sollen. Mehrfach stehen das Filmdokument sowie die Teschner-Dokumentation auf dem Programm. Es hat lange gedauert, bis diese Mischung aus gefühligem Gedenken und Shoah-Busineß in Dresden Anstoß erregte. Helmut Aris vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde, die Teschner als Mitveranstalter einspannen will, kritisierte einen überarbeiteten Programmentwurf als „zu spektakulär“ und „kommerziell“. Friedrich- Wilhelm Junge, Leiter des Dresdner „Theaterkahns“ und Mitinitiator des Förderkreises für den Neubau einer Synagoge in Dresden, sprach gar von einer Festwoche, die den Charakter einer PR-Veranstaltung für den Film habe, der offenbar im Schlepptau der Klemperer-Tagebücher weltweit vermarktet werden solle.

Eine „Scham- und Pietätsgrenze“ mahnte Norbert Haase an. Seiner Ansicht nach kann man die Sequenzen, die Greisinnen mit aufgelöstem Haar und nackte Männer bei einer ärztlichen Visitation zeigen, nur unter pädagogischer Begleitung vorführen. Die Stiftung erarbeitet zur Zeit entsprechende Materialien für die Gedenkstättenarbeit. Darüber hinaus hat sie ein Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, das den Filmfund wissenschaftlich auswertet.

Erst nachdem man dem Treiben Teschners monatelang durchaus wohlwollend zugesehen hatte, dämmerte es den Verantwortlichen in den Dresdner Amtsstuben, daß da eine Peinlichkeit droht, die den wiedererstehenden Glanz der Elbmetropole empfindlich trüben könnte. Da der Film eine „historische Fehlleistung der Bürger dieser Stadt“ dokumentiere, so Kulturdezernent Jörg Stüdemann, werde die Stadt bereits im Oktober in eigener Regie eine Gedenkveranstaltung durchführen. Das alles ficht Ulrich Teschner, der Kritiker „Neider“ und „Intriganten“ nennt, nicht an. Daß es ihm bei den Erinnerungstagen auch um Publizität in eigener Sache geht, hält er für legitim. Den Appell für einen behutsamen Umgang mit dem menschenverachtenden Filmmaterial kontert er mit dem Hinweis, daß die Dresdner Bilder im Vergleich zu anderen nur „ein Klacks“ seien.

Ernst Hirsch ging inzwischen auf Distanz zum forschen Auftreten seines Partners und erklärte, daß er mit dem Film keine Mark verdienen wolle. Allerdings hat er die englischen Exklusivrechte für das Filmdokument bereits an die BBC veräußert, wenn auch der Preis von 5.000 Mark pro Sendeminute deutlich unterhalb des Marktwertes liegt. Einige Szenen werden im Herbst im Rahmen einer Serie über den Nationalsozialismus im britischen Fernsehen ausgestrahlt. Für Hirsch, den Dresdner Lokalmatador in Sachen Film, der gerade den Wiederaufbau der Frauenkirche filmisch dokumentiert, war der NS-Propagandastreifen offenbar eine Nummer zu groß. „Ich weiß nicht mal genau“, sagt er, „was in dem englischen Vertrag drinsteht.“ Er regte inzwischen an, daß der Reinerlös aus den Filmgeschäften dem Neubau der Dresdner Synagoge zugute kommen soll. Horst Seferenz