Ein schrecklich netter Kerl

Der Politthriller steckt auch nach dem Ende des Kalten Krieges voller überraschender Möglichkeiten: John Le Carrés „Der Schneider von Panama“ – Satyrspiel um Macht und Gier  ■ Von Thomas Wörtche

„Pendel & Braithwaite, Panama und Savile Row seit 1932“ steht auf dem Ladenschild von Panama Citys schickstem Herrenausstatter. Dort kleidet sich die Elite des mittelamerikanischen Landes ein: der regierende General, der US-Befehlshaber über die Kanalzone, die hohen Herren aus dem Drogengroßhandel, die Diplomaten und Bankiers. Alle kommen hierher, die politisch irgendwie relevant sind und genügend Kohle haben, um die Preise von Pendel & Braithwaite bezahlen zu können. Man trifft sich im Empfangsraum bei Sandwiches und Tee, die Martha, der gute und diskrete Geist des Hauses, so köstlich zubereitet. Man blättert in Country Life. Und gerne plaudert man mit dem Schneider von Panama, mit Harry Pendel.

Der Anproberaum liegt ein Stockwerk höher, und wer sich dort in Unterhosen den Schritt vermessen läßt, der ist auch nur ein Mensch. Menschen schwatzen. Nichts Gezieltes, nichts Absichtsvolles, nur von des Tages Müh und Last. Ein Bröckchen hie, ein Häppchen da, Klatsch und Tratsch, kleine Indiskretionen, Petitessen.

Panama ist ein kleines Ländchen. Jeder kennt jeden, und alle kennen Harry Pendel. Das kleine Stück England in den Tropen steht für Exklusivität, Solidität und Diskretion. Selbstredend ist Harry Pendel ein vorzüglicher Schneider. Liebevoll streichen seine Hände über die Stoffballen. Sein Geschmack ist exquisit. Alles Grelle und Neumodische ist ihm zuwider. Er liebt Mozart, seine beiden Kinder und seine Frau Louisa. Pendel ist Jude, seine Frau Katholikin, also sind die Kinder konfessionell säuberlich quotiert. Alles scheint prächtig, alles wohlgeordnet. Louisa arbeitet als Sekretärin für Dr. Ernesto Delgado, seines Zeichens „Berater für die Zukunftsplanung des Panamakanals“.

Aha – dieses surrealistisch-britische Biotop ist also tief in der Realpolitik verankert. Am 1.12. 1999 sollen die USA die Kanalzone an Panama zurückgeben. Im Dezember 1989 hatten sie ihr Zugriffsrecht auf das Land noch einmal massiv demonstriert. Der damalige Diktator Noriega (mit den USA bekanntlich aufs pikanteste verbandelt) wurde mittels einer rabiaten Militäraktion und unter Einsatz von dröhnender Rockmusik ausgehoben. Dabei ging ausgerechnet der Teil von Panama City in Schrott und Trümmer, in dem die armen Leute wohnten: El Chorillo, der Slum, wurde plattgemacht. Einfach so oder weil das Pentagon seine neuen Spielzeuge ausprobieren wollte. Vergessen haben die Menschen das nicht. Die „Yanquis“ sind nicht gerade beliebt. Deswegen hat die amerikanische Regierung derzeit Kreide gefressen und verhält sich ruhig. Wozu haben die USA schließlich westliche Verbündete? Auch die müßte die Frage umtreiben: Was soll nach dem Dezember 1999 mit diesem geostrategisch so wichtigen Stückchen Erde und Wasser zwischen Atlantik und Pazifik geschehen?

Das ist die Bühne, die John Le Carré für seinen neuen Roman „Der Schneider von Panama“ mit meisterhaft knappen Strichen aufbaut. Die Exposition genügt, um alle Befürchtungen zu zerstreuen, er knüpfe an das Debakel seines vorletzten Buches „Unser Spiel“ an. Ganz im Gegenteil: „Der Schneider von Panama“ ist ein bewundernswertes Stück Literatur. Le Carré, der nach dem langen Schweigen von Eric Ambler und dem Tod von Ross Thomas, den beiden einzigen Mitspielern in seiner Liga, recht allein dasteht, beweist, daß der Politthriller nach dem Kalten Krieg keineswegs tot sein muß, sondern weiterhin voller verblüffender literarischer Möglichkeiten steckt. Deutlicher war der Unterschied zu all den Zweit- und Drittligaschreibern wie Forsyth, Guillou & Co. selten zu beobachten.

Das hat mit der intellektuellen Schärfe und der Raffinesse zu tun, mit denen Le Carré seinen Plot anlegt. Denn selbstverständlich kann das Idyll im Hause Pendel nicht wahr sein. Harry steckt bis über beide Ohren in Schulden, seine Ehe ist keineswegs so gut, wie sie scheint, und seine Biographie ist sowieso ein einziger Fake. Und: Andrew Osnard, der neue britische Geheimdienstmann in Panama, der eines Nachmittags bei Pendel & Braithwaite gleich „zwei Straßenanzüge und eine komplette Ausstattung mit allem Pipapo“ in Auftrag gibt, will das Schneiderlein in der Klemme auch nicht aus patriotischen Gründen zum Spionieren anheuern. Aus solchen ist auch Osnard nicht in Ihrer Majestät Regierungsdienst getreten, sondern aus handfesteren Interessen. Ob man in London wirklich im Auftrag von Washington wissen möchte, ob Panama den Kanal an die Japaner verscherbeln will, das ist sowohl dem britischen Botschafter in Panama als auch den Herrschaften in Whitehall schnurzpiepegal. Denn das „Große Spiel“ auf der außenpolitischen Ebene hat noch nicht mal mehr innenpolitische Implikationen, es dient lediglich dem individuellen Machterhalt und all den schönen Möglichkeiten, die in Zeiten knapper öffentlicher Gelder gewisse klandestine Budgets bieten. „Politik“, hat Le Carrés Kollege Ross Thomas immer wieder gepredigt, „ist der direkte Weg in den Selbstbedienungsladen.“

In dieses Spiel, das sich um ein paar Tote nicht kümmert, schon gar nicht um das Schicksal von ganzen Ländern, zieht Osnard den wahrlich nicht harmlosen Harry Pendel, für den es bald ums eigene Überleben geht. Am Ende sind die Goldbarren gezählt und verteilt, und Panama City steht wieder in Flammen. Diese Tragödie inszeniert Le Carré als Satyrspiel, das vor Zorn raucht: Zorn über Leute, für die nichts zählt als der eigene, persönliche Vorteil, die dafür Nationen ausplündern und mit fürchterlichen Machtinstrumenten frivol herumspielen, an deren Notwendigkeit der Ex-Geheimdienstmann David John Moore Cornwell (Le Carrés richtiger Name) vermutlich selbst einmal geglaubt hat. Geheimdienstleute als „Helden“ von Romanen – über diese Vorstellung kübelt Le Carré nur noch Spott und Hohn. Gegen die Osnards dieser Welt haben Betrüger und hauptberufliche Schwindler wie Harry Pendel keine faire Chance – und wenn sie noch so anständig und ehrenhaft sind.

Hier kommt eine zweite Ebene ins Spiel, die den „Schneider von Panama“ zu einem so gelungenen Buch macht. Denn Pendel erfindet ein ganzes Netz von Subspionen und liefert den Briten jede Art von frei erfundener Information, die er natürlich penibel abrechnet. Das erinnert nicht zufällig an Mr. Wormold, den Staubsaugervertreter auf Kuba, der dem britischen Geheimdienst in seiner Funktion als Agent „59200/5“ erfolgreich Querschnitte des Saugermodells „Turbo“ als Blaupausen sowjetisch-kubanischer Raketen andreht. Le Carrés Roman hat Graham Greenes Satire „Our Man In Havanna“ aus dem Jahre 1958 als Subtext. Es schadet auch nicht, „Getting to Know the General“ (der unplausible deutsche Titel lautet „Mein Freund, der General“) von Greene, dieses merkwürdige Buch eines englischen Intellektuellen über den panamaischen Präsidenten General Omar Torrijos Herrera, der 1981 unter merkwürdigen Umständen ums Leben gekommen war, noch einmal parallel zu lesen. Auf beide Bücher seines Landsmanns bezieht sich der europäische Intellektuelle Le Carré nicht zufällig. Mit dem Roman „Der Nachtmanager“ (1993) hatte er schon einmal auf die nach wie vor weltpolitisch extrem wichtige Situation im karibischen Großraum hingewiesen. Mit seinem Panamabuch unterstreicht er das noch einmal. Und das ist keineswegs zufällig: Gerade in Europa will man von der Karibik und Lateinamerika zur Zeit so gar nichts wissen, außer daß man dort billig Urlaub machen kann und die Tanzmusik, die sie dort haben, recht schick ist.

Das grimmig-sarkastische Rewriting von „Our Man in Havana“, das wesentlich zum Vergnügen an Le Carrés Roman beiträgt, ist nicht nur als Hommage an einen verehrten Kollegen zu verstehen, sondern als weiterentwickelte „Poetik“ des Politthrillers. Der in den Spionagedienst gepreßte Mr. Wormold konnte sich wenigstens noch mit einer gewissen Kreativität gegen einen zwar strohdummen und mit der Arroganz der Macht ausgestatteten, aber noch nicht total verluderten Apparat zu wehren versuchen. Harry Pendel gerät in ein übleres, viel aussichtsloseres Spiel, ein Nullsummenspiel, in dem es um nichts geht – außer um Gleichgültigkeit, Willkür, Brutalität und kurzsichtige Gier. Le Carrés Buch bietet seinem Publikum mit den feinsten Mitteln der Literatur eine Einschätzung des Zustandes der westlichen Demokratien (und ihres zivilisatorischen Auftrags, an den Le Carré noch immer glauben muß, um so böse zu sein) an, die schlicht verheerend ist. Aber „Der Schneider von Panama“ wäre kein guter Roman, wenn er nicht ein versöhnliches Element mit Liebe herausarbeitete: Pendel mag ein Lügner sein, ein Hochstapler und Betrüger, aber vermutlich genau deswegen ein schrecklich netter Kerl. Das ist auch ein Kommentar zur Zeit.

John Le Carré: „Der Schneider von Panama“. Roman. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1997, 462 Seiten, 45 DM