"Die Stunde der Wahrheit"

■ Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau meint, daß seine SPD beim Euro ihre Oppositionsfähigkeit verloren hat. Er fragt: Ist der Zeitpunkt für den Euro der richtige?

taz: Vier Wochen vor den Bürgerschaftswahlen in Hamburg kommen Ihnen ernste Zweifel an der Einführung des Euros zum 1.1.99. Warum?

Henning Voscherau: Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun. Meine Position ist eher unbequem, weil sich die SPD entschieden hat, dem Herrn Bundeskanzler zu garantieren: Was immer du tust, wir sind bei dir. Das halte ich in der Sache für schwer begründbar und taktisch für geradezu blind.

Warum haben Sie Maastricht überhaupt zugestimmt?

Ich habe Maastricht zugestimmt auf der Basis einer gemeinsamen Entschließung von Bundestag und Bundesrat, die die Latte sehr hoch legt. Jetzt wird so getan, als hätte es die nie gegeben und als stünde da nichts von demokratischen Institutionen drin.

Ihre Forderung, daß mit der Währungsunion auch eine politische kommen müsse, kommt dennoch reichlich spät.

Ich glaube, daß wir eine Demokratie mit Volk und nicht ohne Volk haben. Eine demokratische Auseinandersetzung in einer so wichtigen Frage darf nicht deshalb unterbleiben, weil die Befürworter nicht wagen, sie mit den Bürgern zu führen. Das ist ein schwerer Fehler.

Geht es Ihnen nur um die Stimmungslage in der Bevölkerung?

Es gibt doch zur Zeit gar keine Mehrheit für den Euro. Das liegt daran, daß der Bundeskanzler zu Anfang erklärt hat: Der Euro ist etwas Gutes, Wahres und Schönes, das man nicht kritisiert, sondern vor dem man auf die Knie fällt.

Also eine Volksabstimmung?

Ich bin dafür. Das Dilemma ist, daß die SPD zu Recht sagt: Wir sind die pro-europäischste aller Parteien. Und: Wir sind eine soziale Partei, die die Lebensbedingungen der kleinen Leute auch zehn Jahre nach Einführung des Euro verteidigt. Daß die SPD in diesem Zusammenhang nicht wagt, das zu unterstreichen, was sie in der Verfassungskommission immer wieder gefordert hat – nämlich mehr Elemente von direkter Demokratie – ist ein Schwächezeichen. Die werden ihr blaues Wunder erleben.

Wieso? Was kann passieren?

Wenn der Euro eingeführt wird, die Institutionenreform scheitert und die Osterweiterung kommt, dann würde die Europäische Union erstens ein handlungsunfähges Monstrum mit 22 oder mehr Mitgliedern. Zweitens würde sie ein ressourcenverschlingendes Ungeheuer, weil die Landwirtschaftspolitik nicht reformiert werden kann. Und drittens würde der Euro schwach, weil die Inflation steigen wird. Denn jeder wird wegen seiner einheimischen Wähler hinterher faule Kompromisse gegen den Euro machen. Zehn Jahre nach Einführung des Euro wird genau das die Lage sein. Und dann können Sie die ganze Europäische Union abhaken. Ich finde es verantwortungslos so zu tun, als gäbe es ökonomiefreie Politik.

Die Befürworter halten Ihnen entgegen: Mit irgendetwas muß man ja anfangen. Die Währungsunion wird die politische Union nach sich ziehen.

Natürlich muß man mit etwas anfangen. Aber dann fangen wir doch bitte bei den demokratischen Grundlagen der EU an oder machen dies zumindest parallel.

Das macht Ihre vormalige Zustimmung zu Maastricht um so unverständlicher.

Wieso? Alle haben gesagt, das kriegen wir schon hin bis 1999. Alle sind gescheitert. Und jetzt, sechs Jahre später, sollen wir uns dumm stellen und vorgeben, wir hätten's nicht bemerkt? Mit mir nicht.

Wieso haben Sie denn dann so lange stillgehalten?

Habe ich gar nicht. Ich argumentiere als ein Pro-Europäer, der Europa im 21. Jahrundert zur Verteidigung der Lebensweise und Selbstbestimmung der Völker auf diesem Kontinent gerne weltmachtfähig hätte. Friedlich, aber weltmachtfähig.

Was lief bei der SPD schief?

1990 hat Oskar Lafontaine die ökonomischen Auswirkungen einer Währungsunion skeptisch betrachtet. Und wurde auf dem falschen Fuß erwischt durch Dieter Spöri in Baden-Württemberg mit dem Plakat: „So nicht CDU. Euro Nein. SPD“ und durch Gerhard Schröder mit dem Spruch, endlich habe die SPD ein „linkes nationales Wahlkampfthema“. Auf diese Weise ist die SPD – eine internationalistische Partei, die sich pro-europäisch von niemandem überholen lassen will – zur Flucht nach vorn gezwungen worden. Da steht sie nun und hat beim Euro ihre Oppositionsfähigkeit eingebüßt. Wo, bitte schön, soll der höhere Sinn dieser Lage sein?

Wie lauten Ihre Forderungen?

Wir brauchen die Stunde der Wahrheit: Wer will eigentlich eine reformierte Europäische Union mit Demokratie, mit sozialstaatlicher Absicherung und ökologischer Harmonisierung? Dazu braucht man demokratische Gestaltungsinstanzen, die allen Europäern verantwortlich sind und nicht nur jeder seinem Zuhause. Wenn das jetzt nicht auf den Weg gebracht wird, kommt es nie.

Wie soll dies 16 Monate vor dem Startschuß des Euro gehen?

Biedenkopf hat einen sehr guten Vorschlag gemacht. Währungsunion bejahen und starten: Jetzt. Erstteilnehmer festlegen: Jetzt. Umtauschkurse festlegen: Jetzt. Wechselkursschwankungen unter den Erstteilnehmern gegen null fahren: Jetzt. Zeitpunkt fünf Jahre hinausschieben: Jetzt. Das halte ich für einen sehr kompetenten Vorschlag. Die Reform der EU-Institutionen könnte zum 50jährigen Jubiläum der Römischen Verträge im Jahr 2007 mit einer großen Weihestunde starten. Die Außen- und die Verteidigungspolitik gehen auf die EU über. Dann würde Europa auf ein richtiges demokratisches Fundament gestellt. Interview: Silke Mertins