Ungarn öffnet seine Stasi-Akten

■ Im „Amt für Geschichte“ können die Ungarn jetzt ihre Dossiers einsehen. Die Namen der Spitzel erfahren sie nicht

Budapest (taz) – Mit der Eröffnung des „Amtes für Geschichte“ können die Ungarn seit Montag ihre Stasi-Akten einsehen. Sieben Jahre nach der Wende darf der Bürger erfahren, was die Abteilung III/III, der für die Inlandsbespitzelung zuständige Arm des Innenministeriums, über ihn an Informationen gesammelt hatte. In den Kopien der Berichte sind die Namen der Spitzel geschwärzt. Die Opfer werden also weiter darüber im unklaren gelassen, wer der Stasi zugearbeitet hat. Das Bespitzelungswesen bildete einen integralen Bestandteil des Unterdrückungsapparates. Die Opposition wurde umfassend observiert. Die Genossen von der III/III arbeiteten mit dem MfS in der DDR zusammen, vor allem, wenn es um die internationalen Verflechtungen der osteuropäischen Dissidentenszene ging.

All dies hätte man in Ungarn nach der Wende am liebsten schnell vergessen. Die Abteilung III/III wurde aufgelöst, ihre Akten gingen in den Reißwolf oder wurden in den Kellern des Innenministeriums verbunkert. Der erste freigewählte Ministerpräsident József Antall griff manchmal auf dieses Wissen zurück, um politische Gegner mit dem Hinweis auf ihre mögliche Stasi-Verstrickung zu desavouieren. Ansonsten blieb es still um die Dossiers.

Auch die Durchleuchtung von Abgeordneten und hohen staatlichen Funktionsträgern kam erst kürzlich in Gang. Die ungarische Lustration ist diskret angelegt: Wer vom zuständigen Richtergremium enttarnt wird, hat einen Monat Zeit zurückzutreten. Wenn dies unterbleibt, wird der frühere Fehltritt öffentlich gemacht.

Bisher wurde nur ein sozialistischer Abgeordneter der III/III- Mitarbeit überführt. Mehrere Abgeordnete haben den Bescheid der Richter angefochten. Bis zum Ausgang des Verfahrens bleibt die zugesicherte Diskretion erhalten. Sie spielen auf Zeit. Nächstes Jahr sind Wahlen. Wenn sie nicht erneut kandidieren, bleiben ihnen sowohl die peinliche Bloßstellung als auch ein auffälliger Rücktritt zum Ende der Legislaturperiode erspart. Gregor Mayer Seite 10 Kommentar