Keine Lust auf verbeamtete Revoluzzer

18 junge Grünen-Politiker rechnen in einem Papier mit ihrer Parteiführung ab und präsentieren ihr politisches Programm. Sie fordern einen Generationenvertrag für das 21. Jahrhundert  ■ Von Nicol Ljubic

Berlin (taz) – Nein, ein Aufstand der Jungen sei es nicht, sagt Jens Kröcher, 24 Jahre alt und Landesgeschäftsführer der Grünen in Hessen. „Wir wollen neue Ideen in die Partei einbringen und uns vom Ballast der alten Ideale befreien“, sagt er. Jens Kröcher ist einer von 18 jungen Grünen, die gemeinsam ein Papier mit dem Titel „Start in den Staat des 21. Jahrhunderts“ verfaßt haben, das heute veröffentlicht wird. Dazu gehören unter anderem Mathias Wagner (23), Landtagsabgeordneter in Hessen und Initiator der Erklärung, Matthias Berninger (26), Bundestagsabgeordneter, Ronja Perschbacher (25) und Tarek Al- Wazir (26), die beide ebenfalls im hessischen Landtag sitzen. Das Papier ist sowohl ein politisches Programm als auch eine Abrechnung mit der eigenen Partei.

Mehr Ideenwettstreit müsse es bei den Grünen geben, sagt Kröcher. „Wir haben das Gefühl, daß es Denkverbote gibt. Meinungen, die zu sozialdemokratisch oder neoliberal sind, darf man nicht äußern.“ Das liege vor allem an den vielen 68ern, die in den Parteigremien sitzen. Zwei Beispiele hat Jens Kröcher schnell zur Hand: Jürgen Trittin und Joschka Fischer. Etwas lakonisch formulieren die Jungen in ihrem Papier: „Ach ja, die 68er haben noch etwas im Angebot: ihre Ratschläge an die heutige Jugend. Manche empfehlen uns, auf die Probleme von heute mit den Mitteln von gestern zu reagieren: ,Seid revolutionär‘, oder ,sprengt Grenzen‘, heißt es da. Leider haben viele 68er nicht begriffen, daß die Jugend von heute nicht dazu da ist, die revolutionären Träume von damals zu verwirklichen.“ Diese mittlerweile verbeamteten Revoluzzer glaubten, mit Demonstrationen, Appellen und Resolutionen könne die Zukunft der Jugend gerettet werden.

Nein, es sei kein Aufstand, sagt Jens Kröcher und nimmt – wie zum Beweis – die Alten ein wenig in Schutz: „Die haben viel Richtiges erreicht“, sagt er. Im Papier fordern die Jungen aber: „1998 müssen die 68er die gesellschaftliche Realität einholen.“

Das Programm der Jungen bietet der Partei dabei einige Richtlinien. Die 18 Unterzeichner haben eine Art Sieben-Punkte-Plan formuliert, in dem sie mit alten Idealen der Partei abrechnen. Sie distanzieren sich von der Vollbeschäftigung. Sie fordern weniger Arbeit durch Teilzeit in großen Unternehmen und mehr Arbeit bei Existenzgründern. Sie fordern eine elternunabhängige Ausbildungsförderung für alle Studierenden. Und in der öffentlichen Verwaltung soll das Beamtentum weitgehend abgeschafft werden.

„Wir brauchen dringend ein Hundert-Tage-Programm à la Tony Blair“, sagt Kröcher. Denn im Gegensatz zur Politik sei die Gesellschaft innovationsbereit. Diese Chance müßten die Grünen nutzen. Dabei wollen die Jungen helfen. Nicht, in dem sie „Grenzen sprengen“ oder „revolutionär“ sind, sondern einfach, in dem sie eine Diskussion anregen und hoffen, daß ihre Partei sie demnächst ein wenig ernster nimmt.