Internationale Hilfe immer knapper

■ Die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) speckt ab: Überfüllte Klassen, Schulgeld, Krankenhausgebühren - Unzufriedenheit in den Lagern wächst

Jerusalem (taz) – „Die Flüchtlinge können gar nichts anderes empfinden, als daß man es auf sie abgesehen hat“, sagt der UNRWA-Direktor im palästinensischen Flüchtlingslager Deheisheh bei Bethlehem gegenüber der Zeitschrift Palestine Report. „Das Flüchtlingsproblem ist nicht gelöst, und trotzdem reduziert UNRWA ihre Dienste.“ Und ein erboster Einwohner von Deheisheh meinte: „Die ausländischen fetten Katzen werden immer fetter aufgrund der Gehälter, die UNRWA ihnen zahlt. Und dann glauben sie, sie tun etwas Großartiges, wenn sie uns einen Sack Mehl geben.“

Nach Angaben von UNRWA- Generalsekretär Peter Hansen fehlen allein für das letzte Quartal dieses Jahres 20 Millionen Dollar, weil zahlreiche Geberländer ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind. Die UNRWA müsse deshalb 15 Prozent der internationalen Mitarbeiter entlassen. 250 Lehrer, die dringend benötigt werden, können nicht eingestellt werden. Universitätsstipendien werden nicht mehr vergeben. Und die Behandlung in den UNRWA-Krankenhäusern muß – außer in sozialen Härtefällen – bezahlt werden. Am Europäischen Krankenhaus in Gaza wurden die Verträge von 50 Mitarbeitern, die Ende September auslaufen, nicht erneuert. Am meisten erbost hat die Flüchtlinge aber die Einführung eines Schulgeldes von 50 Shekel (etwa 27 Mark) jährlich. „In manchen Klassen sitzen 63 Schüler, jeweils zu dritt in einer Bank. Wie sollen wir die vernünftig unterrichten?“ fragt ein Lehrer. „Und dann sollen sie auch noch Schulgeld zahlen.“ Zu Beginn des neuen Schuljahres Ende vergangenen Monats traten die Schüler im Gaza-Streifen und im Westjordanland deshalb in einen neuntägigen Streik. Die Fenster von UNRWA- Büros und die Scheiben von Fahrzeugen der Organisation wurden eingeworfen. Viele Flüchtlinge sehen in den Sparmaßnahmen eine politische Verschwörung. Während die Geberländer Millionen in die Verbesserung der Infrastruktur in den palästinensischen Gebieten investierten, um somit die Akzeptanz der Oslo-Vereinbarungen zu erhöhen, würde ausgerechnet bei den Ärmsten der Armen gespart, obwohl zahlreiche Länder wie Saudi-Arabien, Schweden oder die Niederlande auf einer Konferenz im Juni zusätzliche Zahlungen in Millionenhöhe in Aussicht gestellt haben. Aus dem Volksslogan der Intifada „PLO, Israel No!“ machten Schüler bei ihren Demonstrationen denn auch die Parole: „PLO, UN Go!“

Doch ganz so ernst gemeint war das wohl nicht. Denn für fast 3,4 Millionen palästinensische Flüchtlinge sind die Leistungen der UNRWA auf den Gebieten Gesundheit, Erziehung, Ernährung und Wohnen unentbehrlich. Und das seit 50 Jahren. Gegründet wurde die Hilfsorganisation der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (United Nations Relief and Works Agency) 1949 nach der Flucht und Vertreibung von rund 750.000 Palästinensern aus ihrer Heimat. Ursprünglich sollte ihre Arbeit zeitlich begrenzt sein, bis das Flüchtlingsproblem gelöst sei. Doch seit 1949 hat die UN-Vollversammlung alle drei Jahre das Mandat der UNRWA erneuern müssen. Und die Palästinenser, die alles verloren hatten, betrachten es längst als ihr Recht und als Pflicht der internationalen Gemeinschaft, ihnen beizustehen.

Die UNRWA, die nicht nur in Palästina, sondern auch in Jordanien, Syrien und Libanon tätig ist, bot vielen Flüchtlingen Arbeit und Auskommen. Vor der Ankunft der palästinensischen Autonomiebehörde war die UNRWA der größte Arbeitgeber im Gaza-Streifen mit rund 5.000 Beschäftigten. Ein Job bei der UNRWA garantierte ein gesichertes Auskommen für die ganze Familie. Die hohe Geburtenrate unter den Flüchtlingen von vier bis fünf Prozent machte jedoch eine ständige Erhöhung des UNRWA-Budgets notwendig.

Nach Angaben des vormaligen Generalsekretärs der UNRWA, Ilter Turkmen, hofften viele Länder nach den Oslo-Vereinbarungen 1993, daß die UNRWA ihre Dienstleistungen einstellen könne und die palästinensische Autonomiebehörde die Verantwortung für die Flüchtlinge übernehme. Doch angesichts der permanenten Finanzkrise der Autonomiebehörde ist das eine illusorische Idee. Palästinensische Proteste begleiteten am Mittwoch dieser Woche eine weitere Konferenz der Geberländer in der jordanischen Hauptstadt Amman. Flüchtlinge demonstrierten vor dem Hauptquartier der UNRWA im Gaza-Streifen sowie vor den Büros in Amman und Jericho. „Sie werden ein bißchen Geld geben, um einen kleinen Teil des Defizits zu decken“, hatte ein Einwohner des Flüchtlingslagers Deheisheh prophezeit und recht behalten. Japan, Italien, die USA und Spanien erklärten sich nach UNRWA-Angaben bereit, 22 Millionen Dollar an Soforthilfe zu geben. Frankreich und Luxemburg wollen bei akuten Krisen zusätzliche Gelder zur Verfügung stellen. Georg Baltissen