■ Bonn apart
: Aktion Anstand

Das waren noch Zeiten. Als sich ein Umweltminister namens Joschka Fischer im hessischen Parlament mit Turnschuhen vereidigen ließ. Als sie im Bundestag mit Jeans aufkreuzten, mit Schlabberpulli und kurzen Hosen. Das roch nach Demokratie pur. Die klassenlose Gesellschaft schien Wirklichkeit zu werden. Selbst wer keinen Schlips binden konnte, durfte Bundestagsabgeordneter werden. Abgeordnete im Blaumann schienen auf einmal denkbar. Darauf kann Rudolf Scharping heute aufbauen – ihn erwartet man jede Woche rußgeschwärzt im Bergarbeiterdreß.

Oder erinnern wir uns daran, wie im Bundestag ranghohe US- Militärs mit Blut bespritzt wurden. Das hat zwar nicht direkt etwas mit Kleiderordnung zu tun, aber es ist immer wieder schön, sich an diese durch Äußerlichkeiten symbolisierte Aufbruchstimmung zu erinnern. Und heute? Ab sofort sollen die Abgeordneten wieder anständig gekleidet erscheinen, hat Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth angemahnt. Rechtzeitig vor Berlin. Das wird den Adel freuen und diejenigen, die für die Abschaffung des Bafög sind. Die jungen Grünen sowieso, die sich gerade gegen die verwahrloste 68er-Generation auflehnen. Durch vorauseilenden Gehorsam glänzt ja bereits der stets in feines Tuch gewandete Klapperstorch Joschka Fischer, bei dem immerhin noch die Schuhgröße dieselbe sein soll wie zu Ministerzeiten selig.

Was kaum jemand weiß: Das Parlament übernimmt mit ihrer Kleiderordnung Vorbildfunktion für die Pläne von Innenminister Kanther, der nach New Yorker Vorbild „eine Aktion Sicherheitsnetz“ ins Leben rufen will. Das noch nicht hundertprozentig wissenschaftlich bewiesene Theorem basiert bekanntermaßen auf der Annahme, daß Schmierereien, Dreck und Verwahrlosung den Nährboden für Kriminalität bedeuten. Dazu zählt natürlich auch unangemessene Kleidung. Wie sonst ließe sich erklären, daß sie sich im Bundestag in dieser Woche wieder mit Ausdrücken wie „Schnösel“, „Sie sind in Verschiß“ und „Betrüger“ beschimpften. Wer aussieht, als käme er vom Strand, der redet auch so. Markus Franz