„Der Wahnsinn ist, daß das alles legal ist“

■ Theresia Haidlmayr, gesundheitspolitische und Behindertensprecherin der grünen Fraktion im Wiener Nationalrat, über Zwangssterilisierungen in Österreich

taz: In Skandinavien liegen relativ konkrete Zahlen vor. Gibt es in Österreich mehr als Vermutungen und Dunkelziffern?

Theresia Haidlmayr: Zahlen gibt es nicht, weil es ein Tabuthema ist und weil Sterilisierungen teilweise unter falschem Titel, nämlich aus „gesundheitlichen Gründen“ durchgeführt werden. Wenn es „nicht gegen die guten Sitten verstößt“, dürfen Minderjährige mit Einwilligung der Eltern sterilisiert werden. Anscheinend gehört es in Österreich zu den guten Sitten, daß man geistig behinderte Frauen zwangssterilisiert.

Sind auch Männer betroffen?

Ich kenne einen Mann, der zwangssterilisiert wurde. Man hat ihm gesagt, es handele sich um eine Vorhautoperation. In Wirklichkeit wurden die Samenleiter durchtrennt. Er ist 20 Jahre alt und liegt daheim bei den Eltern.

Ist er geistig behindert?

Er hat die Sonderschule besucht. Wer nicht 75 Prozent IQ erreicht, ist laut Dr. Rett [Der Kinderneurologe Andreas Rett ist Verfasser des Standardwerks „Das hirngeschädigte Kind“, in dem er dafür plädiert, Menschen mit niedrigem IQ einer Zwangssterilisierung zu unterziehen; Anm. d. Red.] nicht in der Lage, ein Kind zu bekommen und zu erziehen.

Wie würden Sie das Problem der Kinder von geistig Behinderten lösen?

Schwerstbehinderte Menschen haben sowieso kaum eine Chance auf Sexualität und Beziehung. Je schwerer jemand behindert ist, desto weniger kann er seine Sexualität leben. In jedem Fall kann man herkömmliche Verhütungsmittel wie Pille, Spirale oder Kondom einsetzen, so wie bei nicht behinderten Frauen auch.

Besteht nicht die erhöhte Gefahr, daß die Frauen die Einnahme der Pille vergessen?

Jemand, der mehrfach behindert ist, kriegt in der Regel eine Unzahl von Medikamenten. Da könnte man die Pille dazugeben. Außerdem gibt es die sogenannte Depotspritze für drei Monate.

Wurden auch körperbehinderte Menschen zwangssterilisiert?

Früher wurde das auch bei Körperbehinderten gemacht. Heute ist das nicht mehr so stark der Fall, weil sich körperbehinderte Kinder und Erwachsene wehren können. Ich kenne zwei Frauen, die gedrängt wurden, sich sterilisieren zu lassen. Dr. Rett sagt, wenn die nicht in der Lage sind, für sich selber zu sorgen, können sie es auch nicht für jemanden anderen tun. Deswegen bin ich überzeugt, daß auch körperbehinderte Frauen sterilisert worden sind. Der Wahnsinn ist, daß das alles legal ist. Solange jemand noch nicht volljährig ist, bedarf es nur der Unterschrift der Eltern. Es wird kein medizinisches Gutachten gefordert. Sterilisation wird meistens durchgeführt, solange die Person minderjährig ist, damit kein Sachwalter eingeschaltet werden muß. Es wird in Österreich nach wie vor sterilisiert. Es gibt sogar Einrichtungen, nicht nur psychiatrische, auch Behindertenheime, die Frauen nur aufnehmen, wenn sie sterilisiert sind.

Sieht außer den Grünen jemand Handlungsbedarf?

Niemand. Ich bin überrascht, daß die Gesundheitssprecher der anderen Fraktionen alle auf Tauchstation sind. Interview: Ralf Leonhard