Grüne sehen überall das Beste

Der Vorstandsbeschluß der SPD zu Gerhard Schröders Wirtschaftsthesen wird von der grünen Parteispitze pragmatisch, aber aus taktischen Gründen nur vorsichtig kritisiert  ■ Aus Bonn Markus Franz

Wie hatte Parteisprecher Jürgen Trittin zum Wahlkampfauftakt der Bündnisgrünen Ende August so schön gesagt: „Wann wird die SPD, nicht aus Anstand, das verlangt von ihr ja keiner mehr, sondern aus Machtpragmatismus lernen?“ Zufrieden, Herr Trittin? Gerhard Schröder hat sich schließlich mit seinem heißdiskutierten Thesenpapier zur Wirtschaftspolitik ganz pragmatisch auf die bürgerliche Mehrheit zubewegt und damit die Wahlchancen seiner Partei vermutlich erhöht.

Trittin und seine Kollegin Gunda Röstel sind dennoch nicht zufrieden. „Das Wirtschaftskonzept der SPD ist ungefähr so innovativ und ehrlich wie das Versprechen des Kanzlers, die Arbeitslosigkeit zu halbieren“, mosern sie nun. Wie einst Helmut Schmidt setze Schröder einseitig auf Wachstum und auf Risikotechnologien. Eine Antwort auf die zunehmende Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung sei dies nicht. Trittin und Röstel sprechen weiter von einem „dramatischen Richtungswechsel“.

Gegen erfolgreiche Machtstrategien haben die Grünen an sich nichts mehr einzuwenden. Das zeigt schon die Sprache. So formuliert Trittin: „Wenn Bündnis 90/Die Grünen keine großen Fehler machen, werden sie ab 1998 das mächtigste Land Europas, einen der wirtschaftlich stärksten Staaten dieser Welt mitregieren können und müssen.“

Fraktionssprecher Joschka Fischer hat pragmatisch vorgegeben, warum es so wichtig ist, an die Macht zu kommen. Was nützt es uns, immer wieder die Öko-Steuer zu fordern, wenn wir nicht die politische Möglichkeit haben, sie endlich umzusetzen. Die Bündnisgrünen scheinen diese Worte zu beherzigen. Zumindest öffentlich führen sie schon lange keine Diskussionen mehr über politische Inhalte. Nur aus taktischen Gründen? Wichtiger als Programmatik scheint einigen, „den absoluten Schröder an die Leine zu legen“, wie Jürgen Trittin es fordert. Denn Schröder ist einerseits Hoffnungsträger für einen Regierungswechsel, andererseits Gefahr für die Träume von einer grünen Regierungsbeteiligung. Viele Grüne glauben zwar, daß die SPD mit Schröder die besten Chancen hat, die CDU als stärkste Partei abzulösen, fürchten aber andererseits, daß Gerhard Schröder eine Große Koalition anstreben könnte. So vermutet Fraktionssprecherin Kerstin Müller nach den jüngsten Ereignissen: „Schröder macht einen Wahlkampf Richtung Große Koalition.“ Zudem entfernt Schröder die SPD zunehmend von dem politischen Grundverständnis der Grünen. Kerstin Müller schließt daraus, daß es für die Grünen um so mehr darauf ankomme, einen eigenständigen Wahlkampf zu führen und sich eindeutig von der SPD abzugrenzen. Das heißt: ökologischen Strukturwandel fordern, Einsatz für Bürgerrechte, Widerstand gegen Law-and-order-Politik, andere Außenpolitik.

In dem Schröder-Kurs sieht sie nicht nur eine Gefahr für Rot- Grün, sondern für den Machtwechsel überhaupt. Schröder verfalle in denselben Fehler wie 1993 Rudolf Scharping. Der damalige SPD-Parteichef und Kanzlerkandidat habe die SPD Schritt für Schritt an die CDU angepaßt. Die Wähler hätten kaum noch die Alternative gesehen. „Die Quittung“, so Kerstin Müller, „hat die SPD dann bei der Bundestagswahl erhalten.“

Kritisiert werden die Schröderschen Wirtschaftsthesen auch von dem linken SPD-Flügel nahestehenden Genossen. Der Bundestagsabgeordnete Eckart Kuhlwein findet die Beschlüsse „viel zu nahe an den Position der Kohl-Koalition“. Sie seien „absolut nicht zureichend, um eine überzeugende Antwort zu finden, warum wir im nächsten Jahr eine andere Bundesregierung haben müssen“. Der ebenfalls dem linken Flügel zugerechnete Umweltpolitiker Michael Müller nannte das Programm „ergänzungsbedürftig“. Es liege ein verkürztes Verständnis von Wachstum vor, wenn dieses mit Wohlstand gleichgesetzt werde.