Der Riß

■ Fernseh-Fieber: Bier vom Wasserhahn und mehr über sozialistisches Paradies und sozialistische Realität im DDR-TV

Alles begann an Stalins 73. Geburtstag. Es war kalt, und die Menschen, die auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken durch Ost-Berlins Straßen zogen, froren. 2.000 Gramm subventioniertes Fleisch im Monat garantierte ihnen die Lebensmittelkarte. Im freien Handel dagegen kostete schon das Kilo Eisbein 16 Mark. Dafür aber und noch ein Bier hätte selbst ein Schlosser, der nach der neuen Pawel-Bykow-Methode arbeitete, fast zwei Tage an der Drehmaschine stehen müssen. „Von der Sowjetunion lernen heißt sie...“ las man im Schaufenster eines Rundfunkladens in Mitte. Den Rest verdeckte ein großer Weihnachtsmann aus Pappmaché. Doch weder der noch die Losung interessierten die Passanten an jenem trüben Winterabend. Sie starrten auf „Leningrad“, den ersten Fernseher aus ostdeutscher Produktion. Und dann froren sie noch mehr, denn auf dem Preisschild neben dem russischen Lizenzprodukt aus dem Sachsenwerk Radeberg stand 3.500 Mark.

Sieben private Ostberliner Haushalte erlebten am 21. Dezember 1952 den Sendestart des Deutschen Fernsehfunks. Und auch wenn es später nicht mehr eine Frage des Preises war, es blieb dabei – zwischen dem neuen Medium und seinen Nutzern klaffte ein Riß.

DDR-Wirklichkeit war im staatlichen Fernsehen nur in zwei Varianten zu erleben: entweder heiter gebrochen oder kriminell durchsetzt. Von „Da lacht der Bär“ bis „Ein Kessel Buntes“ kalauerte man in den DDR-Shows über die Unzulänglichkeiten des Systems. Freilich nur so lange, bis diese derart zu Tage traten, daß ihre weitere kabarettistische Sublimierung zwangsläufig als konterrevolutionärer Affront gewertet werden mußte. So verschwanden die Witzbolde, ob sie in den Fünfzigern „Die drei Mikrophonisten“ oder in den Siebzigern „Die drei Dialektiker“ hießen. An ihre Stelle traten vermeintliche Star-Moderatoren, die durch bunte Programme führten, die SED-Propagandachef Horst Sindermann zur Verzweiflung trieben: „Immer triumphiert noch das Geplärr abgetakelter westdeutscher Künstler“, klagte er 1957, „und solcher von uns, die es ihnen nachahmen.“

Doch auch der Versuch, Personality-Shows für verdiente Werktätige zu organisieren, schlug fehl. „Mit dem Herzen dabei“ hieß jene legendäre Sendung, die in den sechziger Jahren proletarische Helden damit überraschte, daß aus ihren häuslichen Wasserhähnen plötzlich Bier floß oder sie gar selbst und schlaftrunken im eigenen Bett auf die Bühne des Friedrichstadtpalastes gezogen wurden. Ob das Ende dieser Show nun dem Mangel an telegenen Aktivisten oder tatsächlich dem Kurswechsel der Partei geschuldet war, sei dahingestellt. Jedenfalls war die Fiktion von einer sich an sich selbst erfreuenden, „sozialistischen Menschengemeinschaft“ plötzlich nicht mehr gefragt und der Weg frei für Costa Cordalis & Co.

Während also von der Showtreppe der schleimige Westen immer dicker herunterlief, blieb der DDR-Krimi unbefleckt. Was sicher auch daran lag, daß die Plots, etwa für die Reihe „Polizeiruf 110“, im direkten Teamwork mit dem DDR-Innenministerium entstanden. Und auch der Mielke-Apparat wurde in die kreative Arbeit einbezogen. Was dazu führte, daß Armin Mueller-Stahl als HVA-Agent Detjen in der Spionagereihe „Das unsichtbare Visier“ sein Wodkaglas demonstrativ auf das Wohl des Stasi-Ministeriums hob.

Unmittelbarer noch als Polizei und Stasi stand Peter Przybylski als fleischgewordene Staatsmacht in den vom Bildschirm erhellten Oststuben. 25 Jahre lang war dieser Mann Pressesprecher des Generalstaatsanwalts. In dieser Funktion moderierte er die Sendereihe „Der Staatsanwalt hat das Wort“. Hier wurde vorgeführt, wie sich ein Mensch in der sozialistischen Lagergemeinschaft tunlichst nicht zu benehmen hatte. Und für den Fall, daß der Film seine abschreckende Wirkung verfehlte, schob Przybylski die meist drakonischen Strafen für die vorgeführten Normabweichungen, mit Parteiabzeichen am Revers und ernster Miene, nach.

Dieses Gesicht hatte sich sogar Erich Honecker als Metapher für sozialistische Rechtsprechung eingeprägt. Weshalb er auch Przybylski freudestrahlend als vermeintlichen Befreier begrüßte, als dieser am 30. Januar 1990 im Auftrag der DDR-Justizbehörden in seine kalte Ostberliner Gefängniszelle trat. Doch auch der gestürzte SED-Chef mußte nun frierend erkennen, DDR-Fernsehen und DDR-Realität waren tatsächlich nicht eins. Przybylski, der Arsch, ließ ihn stehen und schrieb ein Buch, Titel: „Tatort Politbüro“. André Meier

Sonntag, 3sat: „Die Revuetreppe – Unterhaltung im DDR-TV“ (14.30 Uhr); „Gesetzesbrecher und Genossen – Polizeiruf 110“ (22.10 Uhr)