Keine Aufträge für Menschenquäler

Multinationale Konzerne verpflichten sich selbst zu sozialen Mindeststandards  ■  Von Sven Hansen

„Wandel durch Handel“ lautet die Standardantwort von Bundesregierung und deutscher Wirtschaft, wenn es um ihren Einsatz für die Menschenrechte in China geht. Doch einigen Konzernen ist das nicht genug. Sie haben die Einhaltung von Mindeststandards zu einem Unternehmensziel erklärt. Freiwillige Selbstverpflichtungen, sogenannte Verhaltenskodizes, beziehen sich auf Sozial- und Arbeitnehmerfragen, den Schutz der Umwelt oder der Menschenrechte. Darin verpflichten sich die Unternehmen, keine Produkte aus Kinder- oder Zwangsarbeit zu verkaufen, gesetzliche Mindestlöhne zu zahlen, lokale Sicherheits- und Arbeitsvorschriften einzuhalten und sich nicht an Korruption zu beteiligen.

Selbstverpflichtungen reflektieren sowohl ein gewachsenes Bewußtsein der Konzerne über ihre gesellschaftliche Verantwortung als auch den Druck der Konsumenten. Doch wie können solche Unternehmensleitsätze Menschenrechte tatsächlich stärken? Dieser Frage widmet sich eine Anhörung in Bonn, die heute von der den Bündnisgrünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet wird. Unternehmer, Menschenrechtler und Chinaexperten werden dort über ihre Erfahrungen berichten. Die Ergebnisse sollen in einen Antrag der Bündnisgrünen einfließen, der die Regierung auffordert, sich bei in China tätigen Unternehmen für freiwillige Selbstverpflichtungen einzusetzen. Vorbild ist eine ähnliche Initiative der US-Regierung.

Die Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen von Konzernen sind zwiespältig. „Die Bemühungen sind wichtig und positiv. Es reicht aber nicht, daß ein Konzern nur vage einen Kodex verkündet. Er ist auch für die Umsetzung verantwortlich und muß diejenigen, um deren Menschenrechte es geht, bei der Überprüfung miteinbeziehen“, sagt Richard Dicker von der New Yorker Organisation Human Rights Watch. Dicker schlägt vor, unabhängige Organisationen bei der Überprüfung einzubeziehen. In Ländern wie China oder Vietnam, die keine unabhängigen Organisationen zulassen, sollten Experten von außen hinzugezogen werden.

Für den in Hongkong lebenden chinesischen Dissidenten Han Dongfang, Mitinitiator der 1989 gegründeten und verbotenen ersten unabhängigen Gewerkschaft Chinas, sind Verhaltenskodizes „besser als gar nichts“. Am besten sollten unabhängige Gewerkschaften die Einhaltung überwachen, so Han. In China, wo dies nicht möglich ist, sollten deutsche Gewerkschafter halbjährlich Firmen mit deutscher Beteiligung überprüfen.

Arbeiter kennen die Selbstverpflichtung nicht

Für Corinna Printzen, Geschäftsführerin des Verbandes der Deutschen Spielwarenindustrie, ist Überprüfung dagegen bisher kein Thema. Von den 250 Mitgliedern des Verbandes haben laut Printzen alle knapp 100 in China tätigen Unternehmen den vom europäischen Verband übernommenen Kodex unterzeichnet. China ist mit Waren für 900 Millionen Mark 1996 der größte Lieferant für Kinderspielzeug in Deutschland. „Klagen über die Nichteinhaltung der Selbstverpflichtungen sind bisher nicht an uns herangetragen worden“, sagt Printzen.

Der sehr allgemein formulierte Kodex der Spielzeugindustrie sieht bei groben Verstößen keinen Ausschluß aus dem Verband oder eine Einstellung der Handelsbeziehungen mit dem Lieferanten vor. Der Kodex muß nicht einmal in den Betrieben ausgehängt werden. „So schlau sollte doch jede Firma sein“, meint Printzen. Han Dongfang sagt hingegen: „Ich kenne keine Arbeiter, die wissen, daß ihr Betrieb einen Kodex hat.“ Laut Han kümmerten sich 95 Prozent der Spielzeugfabriken nicht um die Arbeitsbedingungen. Oft haben die Arbeiter einen 12-Stunden- Tag und sind dabei gefährlichen Chemikalien ausgesetzt. Die Arbeitsgemeinschaft der Dritte- Welt-Läden wirft der Spielwarenindustrie vor, mit Kodizes absichtlich den Blick auf Kinder- und Zwangsarbeit zu lenken, die nur eine geringe Rolle spielten. So solle von den menschenunwürdigen Zuständen in den Fabriken abgelenkt werden.

Der amerikanische Sportartikelhersteller Nike sah sich kürzlich aufgrund öffentlichen Drucks genötigt, seine Selbstverpflichtung überprüfen zu lassen. Der Konzern lud den früheren UN-Botschafter, Andrew Young zur Kontrolle in die Fabriken ein. Youngs Ergebnis war insgesamt positiv. Doch auch er stellte fest, daß zwar die Manager die Selbstverpflichtung kennen, nicht aber die Arbeiter. Nike hat inzwischen versprochen, jedem der 100.000 Arbeiter seiner Lieferanten den Kodex in der Landessprache auszuhändigen.

Der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Schmitt hält länder- und branchenspezifische Verhaltenskodizes für wirksam, wenn ihre Einhaltung von unabhängigen Instanzen kontrolliert wird. Die Unkonkretheit vieler Kodizes stört ihn nicht. Je konkreter die Selbstverpflichtungen seien, desto eher würde man sich damit auf eine juristische Ebene begeben. „Entscheidend ist aber Druck der Verbraucher. Eine rechtliche Überprüfbarkeit ist kaum möglich, weil dann deutsche Gerichte in Ländern wie China Überprüfungen vornehmen müßten“, so Schmitt. „Außerdem wird die neue Souveränität der Konsumenten zurückgenommen, wenn man Entscheidungen dem Gericht überläßt.“ Schmitt verweist auf den Konflikt um die Bohrinsel Brent Spar. „Juristisch war Shell im Recht, aber Greenpeace hatte neben der Moral die Macht der Konsumenten auf seiner Seite.“