Betr.: Michael Wildenhain / Raul Zelik

In der Nacht vom 3. zum 4. April 1992 wird eine Versammlung Rechtsradikaler in einem chinesischen Restaurant in Kreuzberg beim Essen überfallen. Dabei wird der Deutsche-Liga-Funktionär Gerhard Kaindl erstochen. Der Kreuzberger Autor Raul Zelik nahm dieses Ereignis zur Ausgangsbasis für seinen Debütroman „Friss und stirb trotzdem“ (Edition Nautilus, Hamburg, 1997, 155 Seiten, 28 DM).

Der Vorfall selbst spielt dabei allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Die Sorge, den „Repressionsorganen“, wie es im Roman mehrfach heißt, oder auch dem bürgerlichen Literaturpublikum womöglich intimere Einblicke in die Tatzusammenhänge und das Kreuzberger Jugendmilieu zu gewähren, durchzieht den Roman spürbar von der ersten bis zur letzten Seite.

Zeliks Held und Ich-Erzähler ist eine Randfigur der Ereignisse. Erst die aufgrund des polizeilichen Fahndungsdrucks erzwungene Flucht ins Exil bringt den Erzähler in Berührung mit politisch in die Vorgänge involvierten Kreisen. Die immer wieder auch von Unbekannten erfahrene Solidarität lassen in ihm den Entschluß reifen, selbst „etwas Sinnvolles“ zu tun. „Friss und stirb trotzdem“ ist kein autobiographisches Zeugnis, auch wenn der seit 1989 in Berlin lebende Zelik ebenfalls eine Randfigur der Kaindl-Ereignisse war und zeitweilig einem der Unterstützerkreise der verhafteten Tatverdächtigen angehörte.

Auch der Kreuzberger „Bewegungschronist“ Michael Wildenhain („Zum Beispiel Z“, „Die kalte Haut der Stadt“, „Prinzenbad“) greift in seinem Roman „Erste Liebe Deutscher Herbst“ (Fischer Verlag, Frankfurt 1997, 237 Seiten, 38 DM) zumindest vordergründig ein politisch brisantes Thema auf. Und wie Raul Zelik verweigert sich auch Wildenhain den selbst geweckten Erwartungen des Publikums, intimere Einblicke aus politischen Milieus zu geben.

In Wildenhains Entwicklungsroman um einen Musterknaben, der sich mehr für seinen Abiturschnitt als für politische Zusammenhänge interessiert und dessen Rebellion sich zunächst im Auszug aus dem autoritären Elternhaus erschöpft, spielen die Ereignisse des „Deutschen Herbstes“ von 1977 eine nur marginale Rolle als bedrohlicher Hintergrund. Auch Michael Wildenhains Ich-Erzähler ist eine Randfigur der historischen Phase, die die Politik der Bundesrepublik entscheidend veränderte; erst die Verführungskraft einer jungen linksradikalen Lehrerin bringt ihn dazu, sich zeitweise politisch zu betätigen.

Michael Wildenhain und Raul Zelik kennen sich seit langem, wohnten mehrere Jahre in der gleichen Wohngemeinschaft, bevor sich ihre Wege trennten. Die taz brachte sie nach zwei Jahren wieder an einen Tisch. Klaus Farin