Fremdenhaß gibt es auch auf der Alb

Brandenburgs Ausländerbeauftragte Almuth Berger zu den Ressentiments der Bürger von Gollwitz gegen russische Juden: Menschen brauchen Möglichkeiten, Ängste zu artikulieren – und die Politik muß rechtzeitig informieren  ■ Von Anita Kugler

Letzte Woche kam Gollwitz in die Schlagzeilen, weil der Gemeinderat sich gegen die Unterbringung von 50 russischen Kontingentflüchtlingen wehrte. Nachdem der Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin, Andreas Nachama, dies als neuerlichen „antisemitischen“ Höhepunkt klassifizierte, erkannte Ministerpräsident Manfred Stolpe „Planungsfehler“ und entschied, daß vorerst keine Flüchtlinge nach Gollwitz sollen.

taz: Ist es richtig, daß ein Ministerpräsident derart auf Bürgerproteste reagiert?

Almuth Berger: Das hat er nicht getan. Er hat nur festgestellt, daß man ohne eine genügende Vorbereitung und sensiblen Umgang mit dem Thema nicht einfach Entscheidungen treffen kann. Die Unterbringung von jüdischen Emigranten in Gollwitz ist nicht vom Tisch. Der Ausländerbeauftragte des für Gollwitz zuständigen Landkreis Potsdam-Mittelmark und ich haben vorgestern mit dem Gemeinderat diskutiert. Wir haben den Eindruck, daß die wesentlichen Einwände sich gegen den Umbau eines denkmalgeschützten Hauses in etwa 60 kleine Wohneinheiten richtet. Zumal das strittige Herrenhaus ja nur als Übergangsheim genutzt werden soll, bis die Emigranten in richtige Wohnungen ziehen können. Wir glauben, daß die Gemeinde durchaus offen für die Aufnahme von Flüchtlingen ist, wenn klar ist, daß es weniger sind und das Haus nicht auf Dauer verbaut wird. Sie will sich jetzt in anderen Gemeinden über und bei der Jüdischen Gemeinde in Potsdam über die die Erfahrungen mit Neuankömmlinge informieren. Das ist doch eindeutig ein positiver Ergebnis.

Dennoch kam es in Gollwitz zu Äußerungen wie: Die Juden sollen doch nach Israel gehen, die Russen bringen die Mafia mit usw. Die Zeitungen schrieben von Antisemitismus in Gollwitz. Zu Recht?

In erster Linie waren es Ressentiments gegen alles Fremde. Daß es die gibt, steht außer Frage. Es wird unsere Aufgabe in der nächsten Zeit sein, mit verschiedenen Gruppen in Gollwitz darüber zu reden, durch Information Vorurteile abzubauen. Ich halte gar nichts davon, daß jetzt sogar in New York Gollwitz gebrandmarkt wird. Ich sage Ihnen, solche Ressentiments durch Unkenntnis und diffuse Ängste wären in solch einer Situation in jedem brandenburgischen Dorf möglich, aber genauso auf der Schwäbischen Alb.

Haben Sie bei der Integration der Zuwanderer Kompetenzen, die nicht genutzt worden sind?

Für die Unterbringungsvarianten habe ich keine Kompetenzen, und auch keine irgendwelcher rechtlichen Art. Meine Aufgabe ist laut Kabinettsbeschluß, Fremdenfeindlichkeit abzubauen, Integrationshemmnisse zu beseitigen und beratend bei Entscheidungen hinzugezogen zu werden. Dieses ist gestern auf Einladung des Sozialdezernenten des Kreises passiert.

Nachdem das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.

Das ist in diesem Fall leider richtig. Aber trotzdem nützt es ja nichts, nur rückwärts zu schauen und zu sagen, wie schlimm das gelaufen ist. Sondern wir müssen fragen: Was kann man in Zukunft besser machen und konkret, was können wir in Gollwitz noch erreichen? Es nützt nichts, wenn die Presse immer nur auf die Leute draufklopft, so geht in den Köpfen der Leute nichts voran. Aber wenn ich jetzt in Gollwitz die Offenheit feststelle, die von uns angebotenen Informationsmöglichkeiten auch nutzen zu wollen, so ist das eine positive Sache. So was ist sehr wichtig; darauf möchte ich aufbauen.

Welche Folgerungen für die Zukunft ziehen Sie aus diesem Debakel?

Genauere und bessere Informationen müssen rechtzeitig gegeben werden, und es muß möglich sein, Gespräche zu führen, ohne daß die Öffentlichkeit immer gleich dabei ist. Die Menschen brauchen ein Forum, in dem sie über ihre Ängste reden können. Anders können diese nicht abgebaut werden.

Finden Sie es richtig, daß jüdische Kontingentflüchtlinge in winzigen Dörfern unterbracht werden sollen? Die Jüdische Gemeinde in Potsdam meint, daß mit der Verteilung aufs weite Land die Entwicklung eines jüdischen Lebens erschwert wird.

50 bis 60 Emigranten in einem Dorf mit 300 erwachsenen Einwohnern ist auch als Übergangsmöglichkeit zuviel. Natürlich ist es sinnvoll, die Neuankömmlinge in größeren Orten unterzubringen, aber im Land Brandenburg gibt es nur vier Städte, und auch dort stehen leere Wohnungen nicht einfach so herum. In diesem Jahr rechnen wir noch mit 800 weiteren Emigranten. Da sind leider nicht alle Wünsche sofort erfüllbar. Interview: Anita Kugler