Die Mine sieht aus wie eine Geschenkpackung

■ Im Auftrag einer britischen Firma werden in dem südangolanischen Dorf Dumbo Minen geräumt. Doch manch einer der Angolaner, die nun die Felder säubern, hat die Waffen früher selbst verlegt

Jeden Morgen versammeln sich die Dorfbewohner von Dumbo in ihrer zehn Quadratmeter großen Kirche. Das windschiefe Provisorium hat keine Wände, keinen Altar, nur ein Kreuz aus Zweigen verrät, daß es sich um ein Gotteshaus handelt. Nach der Messe dient es den Ziegen dann wieder als Sonnenschutz.

Die Bewohner von Dumbo beten. Vor wenigen Monaten kam ein fünfjähriges Mädchen aus dem Dorf ums Leben, weil sie auf eine „PPM 2“ getreten war, eine Plastikmine aus DDR-Beständen. Sie hat nach Angaben eines britischen Minensuchers in Angola, wo der Krieg zwischen der Regierungsarmee und den Rebellen der Unita 20 Jahre lang dauerte, am meisten Unglück gebracht.

Männer in blauen Overalls sollen das Leben nach Dumbo zurückbringen. Im Auftrag der britischen Minenräumfirma Greenfield Consultants „säubern“ sie das Dorf. Mit einem überdimensionalen Plastikvisier vor dem Gesicht hocken sie im Gebüsch und bewegen sich im Zeitlupentempo. Einer von ihnen ist Fernando. Im Krieg war er Minenleger, jetzt riskiert er für 210 Dollar im Monat täglich sein Leben.

Eine Mine ist schnell gelegt, aber ihre Entfernung archöologische Kleinstarbeit. Zuerst wird die Erdoberfläche rein optisch abgecheckt. Nur selten liegt die todbringende Saat sichtbar auf der Erdkrume. Im zweiten Schritt wird hochstehendes Gras vorsichtig abgeschnitten. Erst jetzt kommt der Metalldetektor zum Einsatz. Es ist ein Gerät aus Köln, und Minensucher aller Nationen schwören darauf. Dreimal schwenkt der Entminer den Detektor über einen handbreiten Streifen hin und her. Meistens piept es unaufhörlich. Denn überall in Dumbo liegen Minen.

Wenn der Entminer die Stelle gefunden hat, wo es am lautesten piept, fängt er behutsam an zu graben. Und zwar so tief, bis das Metallteil freigelegt ist – egal, ob es sich um eine Mine handelt oder nur um einen Kronkorken. Der Ablauf ist peinlich genau organisiert. In einem exakt einen Meter breiten Streifen stecken markierte Stöcke. Rot-Weiß bedeutet Gefahr, Weiß heißt unbedenklich.

Alle halbe Stunde kommt der Kollege zur Ablösung. Länger, so Greenfield-Mitarbeiter Phil Halford, kann man sich bei diesen Temperaturen nicht konzentrieren. Sechs Wochen bereits arbeitet er an diesem Ein-Meter-Streifen, und doch sind sie erst 15,5 Meter weit gekommen. Das Minenfeld mißt insgesamt 25 mal 25 Meter. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen, die bis vor kurzem ebenfalls im südlichen Angola geräumt haben, dauert es 200 Jahre, bis alle der rund elf Millionen Tretminen beseitigt sind. „Es ist erschreckend, wie gemeingefährlich das menschliche Gehirn funktionieren kann“, meint der Chefingenieur von Greenfield, Julian Harvey, „hier im Süden haben wir alle Arten von Minen, da gibt es keine Patentlösung für die Räumung.“ Minen aus Belgien, Bulgarien, aus China und Südafrika. Die großen Panzerminen messen bis zu 30 Zentimeter im Durchmesser und sind mit bis zu sechs Kilogramm Sprengstoff gefüllt. Ein kubanisches Exemplar sieht aus wie eine Geschenkpackung – doch wer auf die halbgeöffnete graue Schachtel tritt, verliert mindestens einen Arm oder den Unterschenkel. Viele Minen sind so konstruiert, daß sie nicht töten. Ein Schwerverletzter macht dem Feind mehr Probleme als ein Toter. Besonders fies ist eine italienische Erfindung: sobald die Mine gezündet ist, wird sie durch eine Treibladung etwa einen Meter hoch geschleudert. Erst dann explodiert sie und jagt Hunderte von Metallsplittern in alle Richtungen. „Im Umkreis von 25 Metern hat man keine Überlebenschancen“, erklärt Julian Harvey.

Nach Monaten harter Arbeit in Dumbo stellen sich jetzt die ersten Erfolgserlebnisse ein. Phil Harford ist stolz. „Es ist unglaublich, welche Befriedigung es einem verschafft, wenn man sieht, wie die Frauen aus dem Dorf über einen Pfad gehen, den du geräumt hast. Früher mußten sie viele Kilometer weit laufen, um Wasser zu holen, jetzt ist der Fluß wieder direkt vom Dorf aus erreichbar. Es ist eine Menge harter Arbeit.“ Julian Harvey ist nicht optimistisch. „Das Land zu entminen wird nur funktionieren, wenn alle – also Bevölkerung, Regierung, Unita und ausländische Minenräumer – an einem Strang ziehen.“

Leider kommt es immer wieder vor, daß Minen, die mühsam entfernt wurden, schon Tage später durch neue ersetzt werden. „Minen können die verschiedenen Einflußsphären sichern“, erklärt Hendrick Ehlers, der mit der von ihm gegründeten deutschen Stiftung Menschen gegen Minen (MgM) schon etliche Kilometer Straße vor allem um die Hauptstadt Luanda herum minenfrei gemacht hat. So mußte MgM im März Hals über Kopf den Einsatzort verlassen, weil ein Unita-Kommandant plötzlich erklärt hatte, er könne nach Sonnenuntergang nicht mehr für die Sicherheit des Teams garantieren. Solche Drohungen sind ernst zu nehmen. Die Tat würde später marodierenden Banden angelastet.

Die Minensucher sind von Auftraggebern und deren Kassen abhängig. Fließt kein Geld mehr aus dem Ausland, müssen die Firmen ihre Entminer entlassen und die Experten nach Hause schicken. Der angolanische Staat zeigt nur wenig Bereitschaft, für die Räumung Geld auszugeben.

Auch heute noch begibt sich in Lebensgefahr, wer die Straße bei Dumbo verläßt. Manche Minen liegen nur 30 Zentimeter vom Straßenrand entfernt. Phil Harford hält an. Er will eins der rot-weißen Warnschilder wieder aufrichten. Da stellt sich heraus, daß ausgerechnet sein angolanischer Partner Fernando diese Mine vor Jahren gelegt hat. Für einen Moment verharren die beiden vor dem Schild mit der Aufschrift „Perigo Minas! Achtung Minen!“ Krieg und Frieden liegen in Angola immer noch nahe beieinander. Birgit Tofall