■ In loser Folge porträtieren wir Persönlichkeiten der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Emine Demirbüken ist CDU-Mitglied. Sie beweist, daß nicht nur linke Parteien exotische Einsprengsel hegen Von Ansgar Oswald
: „Ich werde immer konservativer“

„Schluß mit der Ungleichheit: Wir wollen deutsche Staatsbürger werden!“ lautet die Parole des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg für eine Einbürgerungskampagne. Auch andere Aktivitäten bundesweiter Organisationen wie der Türkischen Gemeinde in Deutschland deuten auf das veränderte Selbstbewußtsein der mit über zwei Millionen Bürgern größten ethnischen Minorität. Vorbei die Zeiten, als ein Walraff in fulminanten Arbeiterreportagen auf die Diskriminierung der Ausländer aufmerksam machte. Junge Erwachsene der zweiten Generation sind vorangekommen. Sie engagieren sich in politischen Parteien und Verbänden. Die Ausländerbeauftragte des Bezirksamts Berlin-Schöneberg, Emine Demirbüken, ist seit zwei Jahren in der Berliner CDU.

Ob eine israelisch-arabische Delegation der Knesseth nach Berlin kommt, das Goethe-Institut zur Ausländerbegegnung einlädt oder eine türkische Ausstellung eröffnet wird, Emine Demirbüken ist mit Sicherheit mitten drin. Der bündnisgrüne Ismail Hakki Kosan will sogar gesehen haben, „wie deutschen Journalisten das Wasser im Mund zusammengelaufen ist, wenn sie Demirbüken sehen“.

Die zierliche 35jährige verfügt in der Tat über alle karriereverdächtigen Attribute: Sie ist attraktiv, adrett, kompetent, freundlich, umgänglich und versteht diese Vorzüge in feinem Zusammenspiel einzusetzen. Die gelockten Haare hochgesteckt, in schwarzem Rock, Blouson und weißer Bluse erscheint sie an diesem Nachmittag beim Türkischen Bund Berlin-Brandenburg (TBB). Als Pressesprecherin des Verbandes begrüßt sie die Delegation der Knesseth, die sich hier beim TBB über die Minderheitenpolitik informiert. Obwohl sie für ihren übervollen Terminkalender bekannt ist, fehlt jeder Anflug von Hektik. Veranstaltungen mit Demirbüken haben selten etwas Formalistisches an sich, erinnern eher an gesellige Zusammenkünfte, in denen sie die Rolle der Gastgeberin spielt. Demirbüken sorgt für Getränke, Kuchen. Bevor es zur Sache geht, darf sich jeder persönlich vorstellen. „Ich bin Deutsche – türkischstämmige Deutsche“, sagt sie von sich, „und wohne 28 oder 29 Jahre in Deutschland“, so genau wisse sie das gar nicht mehr. Sie fühlt sich eingebürgert, ja sogar „überintegriert“, um im selben Moment distanzierend hinzuzufügen: „Das war jetzt zynisch.“

Keineswegs zynisch, sondern aufrichtig ist zweifellos ihr Engagement für die türkische Minderheit. Ihr wird „gute Arbeit“ und eine „umgängliche, feine und offene Art“ bescheinigt. CDU-Parteifreunde wie der Landesvorsitzende der Jungen Union, Thorsten Reschke, „schätzen ihr souveränes und ruhiges Auftreten“.

Den Forderungskatalog des TBB trägt sie eindringlich und freisprechend vor: Priorität habe die Staatsbürgerschaft und damit die Novelle des Einbürgerungsgesetzes von 1913, das immer noch nach dem Blutrecht geregelt ist. Sie fordert ein Einwanderungsgesetz und eine interkulturelle Erziehung in der Schule, die Kindern Kant und Schiller ebenso nahebringt wie türkische Gelehrte. Und der Islamunterricht müsse gleichberechtigt neben den christlichen und anderen Ethikangeboten stehen. Ob sie auch die Kurden vertrete, will ein arabischer Knesseth-Abgeordneter wissen. „Wir differenzieren nicht zwischen Kurden, Türken, Aleviten, Sunniten und so weiter“, denn man betreibe hier „keine Politik für die Türkei, sondern für die hier lebende Minderheit“. Und für letzteres ist die junge Frau neben ihrem Beruf als Ausländerbeauftragte auch als Bundessprecherin der Türkischen Gemeinde Deutschlands und Vorstandsmitglied im Internationalen Rat ethnischer Minderheiten unentwegt auf Missionstour. Eine „Überdosis an Verantwortungsgefühl aus eigener Betroffenheit“ habe sie frühzeitig dazu getrieben, dieses in „soziales Engagement umzumünzen“, begründet sie ihre Geschäftigkeit. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß sie „jetzt allein lebt“. Persönliche Fragen sind ihr sichtlich unangenehm. Aber sie kann kaum verbergen, daß sie ihre 13 Jahre jüngere Schwester um Familie und zwei Kinder beneidet. So spiele nun mal das Leben. „Jedem das Seine“, kommentiert sie trocken.

Während sie an ihrem großen Holzschreibtisch im Rathaus Schöneberg zwischen Aktenbergen fingert und sich auf die Ausländerberatung vorbereitet, erzählt sie, daß sie „vor neun Jahren in Berlin als erste Nichtdeutsche das Amt einer Ausländerbeauftragten angetreten hat“. Dieser Beruf sei für sie „eine Berufung“, erzählt sie nachdenklich. Was leicht gestelzt klingt. Man nimmt es ihr allerdings eher ab, wenn sie über ihre Biographie spricht.

Sie kam 1969 mit ihrer Familie nach Deutschland. Zwei Jahre nach dem Vater, der 1967 als Tischler von Istanbul nach Berlin gezogen war. Ein typisches Gastarbeiterkind ist sie, das beim Arbeitsaufenthalt der Eltern „nebenher groß geworden“ ist und „als einzige Ausländerin einfach ins kalte Wasser einer deutschsprachigen Klasse geworfen wurde“. Als ältestes von vier Kindern habe sie wegen ihrer Deutschkenntnisse später „die Erwachsene in der Familie gespielt, für andere bei der Ausländerbehörde gedolmetscht und für ihre Geschwister die Mutter- und Vermittlerrolle übernommen“.

Als prägend für ihre Persönlichkeit sieht sie die Konflikte zwischen den „Ansprüchen und Gepflogenheiten der Gesellschaft und jenen des Elternhauses, in dem die Frauen-, Männer-, zumal die Vater- und Autoritäts- und Kinderrolle noch klar definiert sind“. Nein, „kurze Röcke und kurzärmelige Hemden haben nicht auf dem Index gestanden, Kopftuch oder gar Schleier waren tabu“. Ihr Elternhaus sei „liberal“, aber zugleich hätten die Eltern doch „eine Tochter“ gewollt, „die nach der Tradition groß wird und auf ihre Ehre bedacht ist“, also ohne vorehelichen Sex heirate, Kinder habe und bestenfalls Lehrerin werde. Demirbüken will beobachtet haben, daß die heutige Jugend ein ganzes Stück weiter sei: sie bringe ein „eigenes Selbstwertgefühl mit, was ich mit sechzehn niemals hatte“. Der Konflikt zwischen Tradition und eigenem Lebenstil, den Hark Bohm 1987/88 in seiner Milieuverfilmung „Yasemin“ verewigte, sei darum nach ihrer Auffassung nur noch ein gern gehegtes Klischee in deutschen Köpfen. Aber das nimmt man ihr nur bedingt ab.

Sie selber habe eigenständig zu ihrem Lebenstil finden müssen, ohne dabei „radikal mit meinen kulturellen Werten zu brechen“. Ihre Integration bezeichnet sie nachhaltig nüchtern als „jahrelangen Tanz auf dem Drahtseil, als eine Zerreißprobe“. Dafür hat sie einen kometenhafte Karriereweg aus dem Arbeitermilieu auf das politische Parkett hinter sich. Von 1981 bis 1985 studierte sie an der TU Berlin Germanistik und Publizistik. Die mustergültige Geschwindigkeit, die Hochschulreformer in Verzückung versetzen könnte, begründet Demirbüken eher nüchtern: „Ich glaube, daß junge Frauen aus Einwandererfamilien für sich wissen, daß Bildungsweg, ein guter Beruf und gewisser Erfolg unabdingbar dafür sind, um als eigenverantwortliche Wesen akzeptiert zu werden.“

Dem Sender Freies Berlin lieferte sie von 1982 bis 1988 für die türkische Redaktion, die heute bei SFB 4 MultiKulti angesiedelt ist, Jugend- und Kulturbeiträge. Zwei Jahre leitete sie bei der Arbeiterwohlfahrt in Kreuzberg die Kulturabteilung für Freizeitgestaltung; sie war beim Internationalen Bund Jugendsozialwerk als Deutschlehrerin und Sozialpädagogin tätig und hat 1985 mit Freuden den ersten Kulturverein „Halkevi“ e.V. in Berlin nach kemalistischem Vorbild als „Volkshaus“ für heimatorientierte Angebote von Musik über Gesang bis Theater gegründet. Als sie 1988 Ausländerbeauftragte wurde, sei ihr klar gewesen, daß „ihr Schwerpunkt Kinder und Jugendliche sind“. Das sei die Generation, die jetzt in die Gesellschaft hineinwachse. Die deutsche Bevölkerung müsse „akzeptieren, daß es eine ausländische Gesellschaft mit eigener Tradition gibt. Diese solle „als Bereicherung angenommen werden“. Und umgekehrt müßten die Einwanderer begreifen, „daß man nur zueinander findet, wenn wir uns zu diesem Land bekennen“, so ihre Lektion.

So begründet sie auch ihren Eintritt 1995 in die CDU: „Wenn wir vom Türkischen Bund zur politischen Mitarbeit in Parteien und Verbänden aufrufen, um etwas zu bewegen“, sei es für sie selbstverständlich gewesen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Die Verwunderung über Demirbükens Entscheidung für die CDU war in der Ausländerszene groß. Der Grüne Kosan sieht allerdings darin „eine parteipolitische Eitelkeit, die lange Zeit nicht wahrhaben wollte, daß die türkische Gemeinschaft keine politisch-homogene Gruppe ist“. Demirbüken habe sich „offen zu ihrem politischen Konservatismus bekannt, den andere lieber verstecken“. Daß dabei nicht „die Immigrantenpolitik das ausschlaggebende Motiv“ war, sondern „Fragen der inneren Sicherheit, der Außenpolitik und der Jugend- und Familienpolitik“ mag angesichts ihres Kernanliegens, für das sie auch in Brüssel kämpft, paradox klingen. Aber hier zählen für Demirbüken, die eingestandenermaßen „immer konservativer wird“ und sich auf das „traditionelle Weltbild“ besinnt, vor allem Werte wie Ehe und Familie.

Mit Sorge beobachte sie, der „ihr Eltern und Geschwister über alles gehen“, wie sich die Familienbande auch in der türkischen Gemeinschaft lösen und alte Menschen vereinsamen. In die CDU sei sie auch deshalb eingetreten, um „Jugend-, Bildungs- und Kulturpolitik zu machen, die sie „rasend interessiert“.

Der CDUler Wolfgang Branoner, Staatssekretär für Wirtschaft und Betriebe, über die stellvertretende Bürgerdeputierte im Sozial- und Ausländerausschuß seines Ortsverbandes Herrfurthplatz: Emine Demirbüken arbeite „weniger partei- als gesellschaftspolitisch“, aber in seinem Ortsverband sei sie „recht aktiv“. Vor allem „wegen ihres unbestreitbaren Fachwissens“ in Fragen der Staatsbürgerschaft und des Ausländerrechts sei sie „eine unumgängliche Adresse“. Damit spricht er das Dilemma engagierter nichtdeutscher Politiker an: Sie werden auf ihre Exotenrolle als Fürsprecher der Ausländer festgenagelt. Auch Demirbüken sieht diese Sackgasse für ihre politische Karriere. Sie sagt sich: „Dann hätte ich auch nie Politik machen brauchen.“

Emine Demirbüken Foto: Sören Stache/Ghost