Bahn ruft zum jährlichen Abspecken auf

Bis Ende November sollen 4.000 Mitarbeiter mit einer Extraabfindung das Unternehmen verlassen. Betroffene sehen sich genötigt und fordern mehr Mitsprache. Gewerkschaft empfiehlt verbesserte Altersteilzeit  ■ Von Gudrun Giese

Berlin (taz) – Mitte Oktober flatterten gleich 600 Mitarbeitern der Bahn AG im Werksbereich Hannover „persönliche Angebote einer übertariflichen Abfindung“ auf den Tisch. Mit – vermeintlich – lukrativen Offerten versucht die Deutsche Bahn AG, noch in diesem Jahr 4.000 MitarbeiterInnen bundesweit loszuwerden.

Im Werk Hannover herrscht seit zwei Wochen helle Empörung. „Das Abfindungsangebot liest sich wie eine Nötigung“, meint der Betriebsratsvorsitzende am Standort Pferdeturm, Jochen Ganser. Daß es Personalüberhänge in den einzelnen Werksteilen gebe, gesteht er ein. Doch habe die Bahn AG im Vorfeld nicht einmal das Gespräch mit den Betriebsräten gesucht, um gemeinsam Lösungen zu finden.

Tatsächlich hat das privatisierte Bundesunternehmen bis Ende September sein Vorhaben als „streng vertraulich“ behandelt. Ein internes Papier liegt der taz vor. Dort heißt es, es bestehe „im Zuge der Unternehmensstrukturierung ein Personalüberhang von derzeit ca. 4.000 P. im Jahr 1997, hauptsächlich im Verwaltungs- und Werkstättenbereich“. Da sich die Bahn AG verpflichtet hat, bis Ende 1998 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen, greift sie Jahr für Jahr zum Mittel der „befristeten Lockangebote“.

Bei der diesjährigen Runde will das Unternehmen für 30- bis 55jährige Betriebsangehörige zwischen 55.000 und 110.000 Mark Abfindung springen lassen – abhängig von Lebensalter und Betriebszugehörigkeit sowie befristet bis zum 30. November. Daneben hat die Bahn AG auch noch eine befristete übertarifliche Vorruhestandsregelung ausgelobt. Das üppig erscheinende Angebot hat in der Realität mehrere Haken: So müssen ArbeitnehmerInnen, die auf die Offerte eingehen, einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen, mit dem sie eine Sperrung des Arbeitslosengelds riskieren.

„Rechtlich ist an dem Vorgehen nichts auszusetzen“, betont Raimund Reinhart, Gewerkschaftssekretär im Hauptvorstand der Gewerkschaft der Eisenbahner (GdED). Seine Organisation lehne allerdings übertarifliche Abfindungen generell ab. Statt dessen will die GdED eine Verbesserung des bestehenden Tarifvertrages über Altersteilzeit erreichen; Verhandlungen mit der Bahn AG liefen derzeit, so Reinhart.

Den MitarbeiterInnen, die ein Abfindungsangebot erhalten, empfehlen die Gewerkschafter gleichwohl eine genaue Prüfung. So kann mancher gut fahren, wenn er auf das Abfindungsangebot eingeht – vor allem wenn er Aussichten auf einen neuen Job hat. Für die Mehrzahl der Betroffenen allerdings dürfte unter dem Strich nicht viel von der Abfindung übrigbleiben: einen Teil holt sich das Finanzamt, ein anderer Teil wird kompensiert, wenn das Arbeitsamt eine Sperrfrist verhängt. Die GdED klärt die Beschäftigten über diese Möglichkeiten auf.

Diese Haltung hat der Gewerkschaft nun den Vorwurf eingebracht, mit der Bahn AG gemeinsam die Abfindungsoffensive ausgekungelt zu haben. Die GdED rufe nicht offen zum Widerstand auf, kritisieren Betroffene am Standort Hannover. Sie wollen die Zukunft ihrer Arbeitsplätze in die eigenen Hände nehmen. Am kommenden Freitag laden sie zu einer gemeinsamen Betriebsversammlung der betroffenen Standorte in Hannover mit der örtlichen Werksleitung der Bahn AG.

„Stellenverlagerungen sind denkbar“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Jochen Ganser. Alternative Stellen bietet allerdings auch die Bahn AG den Mitarbeitern an. „Jeder Beschäftigte hat einen Anspruch darauf“, sagt Bahn- Sprecherin Anfried Baier-Fuchs. „Eine ungerechtfertigte Ablehnung eines derartigen Arbeitsplatzangebotes“, heißt es in den Abfindungsangeboten der Bahn AG, „bei entsprechender Mitbestimmung des zuständigen BR (Betriebsrat, d. Red.) (...), müßte in letzter Konsequenz zu einer verhaltensbedingten Beendigungskündigung führen.“ Auch eine Möglichkeit, überzähliges Personal loszuwerden.