Die Prinzessin und der Frosch

Gesichter der Großstadt: Aus Bianca Schmidt wurde Bianca Prinzessin von Anhalt Herzogin zu Sachsen, Engern und Westphalen Gräfin von Askanien. Alles nur ein Märchen?  ■ Von Jens Rübsam

In der Vitrine hockt ein Frosch. Er hat eine Krone auf und eine Schleife um. Lustig schaut er durch die Glasscheibe, blinzelt seiner Prinzessin zu, die da draußen im Wohnzimmer keck auf einer schwarzen Ledercouch sitzt, und verkündet: „Bleib, wie Du bist.“

Man ist geneigt, die Geschichte der Bianca Schmidt entweder mit dem Frosch zu beginnen oder einfach so, wie jedes Märchen anfängt: Es war einmal ein Mädchen, nicht älter als 23 Jahr', hübsch und blond, von Beruf Sekretärin, aus dem Osten stammend, aus dem tristen Lichtenberg, einer Gegend, in der man normalerweise vergebens darauf wartet, daß Märchen wahr werden. Die Eltern des Mädchens hießen Schmidt, waren einfache Leut', drehten jede Mark einzeln um; nach der Wende waren sie kein einziges Mal im Urlaub. Ihre Tochter Bianca, die mittlere, galt als die „kleine Nette von nebenan“. Sie war immer freundlich, gut, auch ein wenig naiv, das sagt sie selbst. Sie war vergeben, schon seit sie 16 war. Sie war früh ausgezogen, hatte sich mit ihrem Freund eine Zweizimmerwohnung im grünen Pankow gemietet, eine Anbauwand, eine schwarze Ledercouch, zwei rote Sessel und ein Glastischchen in das Wohnzimmer gestellt. Es war „alles klar“. Sie war zufrieden mit dem, was sie hatte: viele Freunde, Ausgehen am Wochenende, einen guten Job in einer Modefirma. Erst war sie nur Büromitarbeiterin, dann Sekretärin und dann Assistentin bei Modemessen – das Leben der Bianca Schmidt hatte seinen beschaulichen Lauf genommen, und es schien so, als würde es immer so beschaulich weitergehen. Na ja, ganz glücklich war sie nicht.

Es kam das siebente Jahr, da war sie 23, die Beziehung ging auseinander, „das war wie ein Genickschlag“. Sie war „ziemlich down“ und wohl auch ein wenig verunsichert. Das Leben hatte sich nicht an seinen Lauf gehalten. Sie ging zu einem Handleser.

Es war wohl dieser Handleser, der das Mädchen Bianca Schmidt wachrüttelte. Sie stelle sich immer hinten an, mahnte er. Sie solle über den Tellerrand gucken, forderte er. Und weil Bianca an „solche Geschichten“ glaubt und irgendwie selbst das Gefühl „das kann es doch nicht gewesen sein im Leben“ hatte, beschloß sie, sich zu verändern und aus dem „konservativen, netten Image“ auszubrechen.

Und wie es nun einmal ist im Märchen, die Zufälle fallen wie Flocken vom Himmel. Ein Prinz suchte just in jenem Mai vor einem Jahr eine Prinzessin, via RTL-Radio. Schließlich war der Prinz, Prinz Frederic von Anhalt, mit 17 Jahren selbst adoptiert worden – vormals hieß er einfach Robert Richtenberg. Sein neues blaues Blut hatte ihn berühmt und sogar zum Ehemann der Zsa Zsa Gabor gemacht. Warum nicht das Adelsgeschenk weitervererben? hat sich der Prinz gefragt. Na klar, publicityträchtig mußte es schon sein.

Um 7.05 Uhr zur Prinzessin gekürt

Fortan wurde ein Märchen über den Äther versendet, und die Mädchen, die Prinzessin werden wollten, fingen an zu träumen. Wie auch Bianca Schmidt. Sie füllte ein Formular aus, sie gab ein Polaroidfoto ab, sie überstand das Casting, und dann wartete sie eine Weile – bis zum Freitag, dem 13. Dezember 1996, da sollte verkündet werden, wer nun die neue Prinzessin von Anhalt Herzogin zu Sachsen, Engern und Westphalen Gräfin von Askanien werden würde. Um 7.05 Uhr klingelte es an ihrer Tür.

Das Mädchen, das da aufmachte im Schlafanzug und in Latschen, ward vor Kameras zur Prinzessin gekürt und zur Goldmarie. 5.000 Mark werden seitdem monatlich aufs Konto überwiesen, noch bis Ende des Jahres; ein BMW-Coupé darf sie kostenlos fahren, noch bis Ende des Jahres; einen 50.000-Mark-Gutschein darf sie verprassen; eine Reise nach Amerika hat sie schon hinter sich. Sie war bei Prinz Frederic von Anhalt in Beverly Hills. Sie wurde in Las Vegas „in vielleicht zehn Minuten“ adoptiert. Sie mußte vor einer Richterin schwören, daß sie gern adoptiert werden möchte. Sie mußte einen Vertrag unterschreiben, in dem es heißt, sie werde nichts erben außer dem Namen. Sie hat in Amerika Arnold Schwarzenegger kennengelernt und dessen Freund, den Bodybuilder Ralf Möller. Und einmal mehr hat sie gemerkt, daß auch sie gern Schauspielerin werden möchte, das wollte sie eigentlich schon immer. Vielleicht mal eine kleine Rolle im „Tatort“ spielen. Nun nimmt sie zweimal in der Woche Schauspielunterricht. Nun stehen in ihrer Pankower Wohnung zwei Bücher von Stanislawski, „Die Arbeit des Schauspielers an sich“.

Bianca von Anhalt sitzt auf der schwarzen Ledercouch, trinkt Kaffee, zieht an der Zigarette und bläst den Rauch in Richtung Vitrine, dahin, wo der Frosch sitzt. Wie ist es nun als Prinzessin? Na gut, da sei der Name, der schon am Klingelschild steht, aber noch nicht im Paß. Einmal habe sie auf den Namen „von Anhalt“ einen Tisch im Restaurant bestellt und dann schon gemerkt, daß ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Aber sonst? Ihre Eltern haben vor der Adoption gemeint, nicht der Name zähle, nur die Liebe. Und wenn sie mit Freunden und Freundinnen zusammensitzt, spielt der Titel sowieso keine Rolle.

Nein? Interviews gibt Bianca von Anhalt nur noch unter Bedingungen, „ich habe schlechte Erfahrungen gemacht“. Und Fotos will sie nicht machen lassen, weil sie genügend schöne Fotos von sich habe. Nein, sie ist nicht mehr ganz so naiv wie früher. Vielleicht ist sie jetzt eine Spur zu abgeklärt. Beispielsweise wenn ihr Sätze entfahren wie: „Kein Volk schenkt uns mehr Steuern.“ Mit „uns“ meint sie den Adel, zu dem sie sich jetzt zählt – wenigstens vom Namen her. Natürlich weiß sie, daß so eine „Rein-Adoption“ bei dem gebürtigen Adel nicht unumstritten ist. Noch hat sie – außer ihrem Adoptivvater Prinz Frederic von Anhalt – niemanden aus der blaublütigen Familie kennengelernt. Würde sie es gerne? „Ich respektiere das.“ Die Prinzessin verschränkt ihre Beine zum Schneidersitz und rückt sich auf der Couch zurecht.

Freilich, ab Januar werden 5.000 Mark monatlich auf dem Konto fehlen, wird der dunkelblaue BWM nicht mehr vor ihrem Haus parken, wird nur noch der Adelsname sein. Aus das Märchen? Bianca schaut durch das Wohnzimmer und sagt: „Es wäre untypisch für eine Jungfrau, wenn sie dastehen und nicht wissen würde, wie sie die Brötchen kaufen sollte.“ Sie hat gespart, und trotzdem wird sie jetzt in eine kleinere Wohnung ziehen. Sie hat begonnen, Schauspielunterricht zu nehmen, und sie hat einen Beruf in Schon oft den Frosch geküßt, bislang umsonst

der Hinterhand. „Wenn es mit der Schauspielerei im nächsten halben Jahr nichts wird, gehe ich zusätzlich wieder arbeiten.“ Nein, Angst vor der Zukunft hat sie nicht.

Sie steht auf, geht an die Vitrine, holt die Papierrolle heraus, die vor dem Frosch liegt, und liest vor, was ihr Freunde hinter „Bleib, wie Du bist“ noch notiert haben: „Wenn in nächster Zeit kein Prinz zu finden ist, dann küsse den hier. Vielleicht klappt es.“ Bianca lacht. Schon ein paarmal hat sie den Frosch geküßt. Doch genützt hat es bislang nichts. Die Märchenprinzessin ist allein geblieben.