Subversion mit geblümter Duschhaube

Gesinnungsliteratur vom Feinsten, schön grotesk und immer gemein: Carl Hiaasen macht in „Stürmische Zeiten“ Schluß mit falschen Freundlichkeiten und bevorzugt kreischenden Irrwitz als ästhetische Kategorie. Auch Lachen kann gefährlich sein  ■ Von Thomas Wörtche

Natürlich ist es moralisch bedenklich, jemanden in einer Satellitenschüssel zu kreuzigen. Es ist auch nicht sehr schön, einem gefangenen Werbefuzzi aus New York ein Elektroschockhalsband umzulegen und ihn zum Nikotinkonsum zu dressieren. Lobenswerter ist da schon die Aktion eines südamerikanischen Nasenbärs, der als Santeria-Opfer dienen soll, aber statt dessen die Garage des sowieso amateurhaften Chango- Anbeters abfackelt. Ehrenhaft auch das beherzte Eingreifen eines Löwen, der eine zweite Kreuzigung durch jähen Verzehr des Täters, eines bekannten Mafiaschlägers, zu verhindern weiß.

Voyeurismus ist noch kein Verbrechen

Andererseits hat die angenagelte Leiche aus der bowl zu Lebzeiten armen Rentnern angeblich hurrikansichere mobile homes verkauft und ist der Werbefuzzi katastrophengeil mit seiner Videokamera durch die Ruinen marodiert, die „Andrew“, der letzte verheerende Hurrikan, in Florida hinterlassen hat.

Voyeurismus ist allerdings nur eine widerwärtige, aber noch nicht allzu verbrecherische Untat. Die anderen Aasgeier, die nach dem Sturm über Florida herfallen, haben nur noch blanke Dollarzeichen in den Augen. Versicherungsbetrüger, selbsternannte Handwerker, korrupte Bauaufsichtsbeamte, Wegelagerer und Plünderer fallen wie Heuschreckenschwärme ins Katastrophengebiet ein. Sie sind alle nicht sehr zimperlich, die Polizei ist sowieso anderweitig beschäftigt.

„Stürmische Zeiten“ heißt der geschmackssicher geschmacklose neue Roman von Carl Hiaasen, in dem er einmal mehr seiner Wut über die Verhunzung eines einstmals wunderschönen Stückchens Erde freien Lauf läßt. Es ist schon grotesk und könnte als Plot von Hiaasen selbst stammen: Ausgerechnet sein letzter Roman „Strip Tease“ (deutscher Titel: „Nachtclub“) war sein größter kommerzieller Erfolg – und sein schwächstes Buch, genauso schwach wie die Verfilmung mit Demi Moore.

Vorher hatte sich Hiaasen immer an Themen heißgeschrieben, die den Amis wirklich weh tun: an Grundstücksspekulation und shareholders' values, Religion und Fernsehpredigern oder Schönheitschirurgen, gegen deren evidente Obszönität er seine Groteskschocker mit noch mehr Geschmacklosigkeiten abfeuerte. Bei „Strip Tease“ wollte er vermutlich mal menschenfreundlich sein. Eine Unart, die er in „Stürmische Zeiten“ Gott sei Dank nicht so arg pflegt.

Es tobt, wie mehr oder weniger in allen Büchern Hiaasens, hier verstärkt Skink durch die Handlung, der abgedrehte Ex-Gouverneur von Florida. Er ernährt sich von plattgefahrenen Tieren („Highway-Pizza“), haust in den Sümpfen und taucht nur auf, um das reine Chaos zu verbreiten. Skink ist die pure Subversion mit geblümter Duschhaube auf dem Kopf. Er schnappt sich auch den Werbemann aus New York wegen geschmacklosen Verhaltens, quält ihn ein wenig und setzt damit eine Kette unglaublich grotesker Ereignisse in Gang. Man möchte laut applaudieren bei jedem siegreichen Tier, bei jedem Schmierlapp, der eine verplättet kriegt.

Hiaasen verfaßt Gesinnungsliteratur vom Feinsten. Er hat ja recht, denn was die Menschen der Natur und der Menschheit antun, ist weder geschmackssicher noch irgendwie sonst korrekt. Oder? Und wenn dabei komische Bücher anfallen, soll's uns nur recht sein. Es ist ja nicht so, daß Romane sich moralischer Kommentare zu enthalten haben, um als Literatur ernstgenommen zu werden. Das versucht man uns nur immer einzureden. Das Schrille, Bunte, Laute, der kreischende Irrwitz und das Vergnügen daran sind ästhetische Kategorien wie alle anderen auch. Argumente dagegen stammen aus dem 19. Jahrhundert. Und das reine Blödeln ist nicht die einzige Antwort auf den hohen Ton.

Mit Wollust fies und unausgewogen

Das Problem bei littérature engagée ist nur, daß die Inszenierungen zu oft danebengehen, Moral zur Didaxe verkommt, der pädagogische Eros zur ausgewogenen Schulstunde, die niemanden wirklich erregt. Hiaasen ist mit Wollust ungerecht, unausgewogen und fies. Seine Bücher verbessern das Menschengeschlecht sicher nicht, aber dafür kann man lachen. Und Lachen kann furchtbar gefährlich sein. Zwar sind seine Ökoschocker inzwischen Masche, aber lieber maschenhaft vergnügliches Ätzen und Speien statt massenhaft öde und geraunte Bukolik.

An die deutsche Literatur glaube ich erst wieder, wenn jemand die Oderflut zum Thema der großen deutschen Gegenwartskomödie macht. Aber das ist vermutlich moralisch äußerst bedenklich.

Carl Hiaasen: „Stürmische Zeiten“. Roman. Deutsch von Michael Kubiak. Goldmann Verlag, München 1997, 475 Seiten, 44,90DM