Sind Kinder glücklich?

■ Nachrichten aus Umtata, Teil zehn, oder: Kleine fußfaule Wanderer stampfende Dreistundentänzerinnen

Sind Kinder glücklich in Umtata? Jungen strahlen, wenn sie mit ihren flachen Seifenkisten den steilen Bürgersteig in Vulindlela herunterflitzen. Was stören schon direkt daneben die Schwerlaster auf dem Weg ins Gewerbegebiet? Und was wäre schöner als der Beinahe-Crash, wenn die kleinen Rennpiloten unten an der Schnellstraßenkreuzung in die scharfe Rechtskurve gehen müssen?

Mädchenaugen glänzen, wenn sie in den Chor ihrer großen Schwestern einfallen und dazu die Beine schmeißen können. Was stört schon der Schlamm unter ihren stampfenden Füßen oder der kleine Bruder auf dem Rücken?

Kinder sind überall in Umtata, immer draußen, immer barfuß, immer in Horden. Immer glücklich? „Ich kann nicht mehr“, klagt der fünfjährige Solile schon nach den ersten zweihundert Metern beim Kindergarten-Ausflug, „meine Füße tun so weh“. Zanele hat sich ihre Lackschühchen ausgezogen und versucht barfuß weiterzukommen. Erschöpft fallen 30 Kinder ins Gras, als die große Wanderung nach einem guten halben Kilometer endlich zu Ende ist und stürzen sich aufs Picknick: gelber Saft in Plastikfläschchen, poppige Alutüten mit geschmacksverstärkten Chips, grüne Gummibärchen, rosa Marsh-mellows und lila Lollis. Bis Mama im schneeweißen Daimler vorführt und ihr fußfaules Kind nach Hause chauffiert. Dort darf es dann den Rest des Tages vor dem Fernseher verbringen. Erste Welt und Vierte Welt, in Umtata sind sie direkte Nachbarn. Und Kinder haben genausowenig die freie Wahl, zu welcher sie gehören wollen, wie ihre Eltern. Die wollen für sie nur das Beste und schicken ihre Sprößlinge deshalb entweder zum Rinderhüten aufs Feld oder in die teure Privatschule zum Englischlernen. Und mittendrin nun Rosa und Leonie, unsere sechs und zweijährigen Töchter, geboren in Bremen.

„Ich finde, die Welt ist überall schön“, sagt Rosa ein bißchen altklug. In Bremen ist besser, daß man Fahrradtouren machen kann, daß im Kuchen keine Rosinen sind und daß es Weihnachten schneit. In Afrika ist es besser, daß es im Garten ein Baumhaus, einen Hahn und einen Hund gibt, daß man nackt im Regen tanzen kann und daß es früh genug dunkel wird, um jeden Tag ein Stück vom Pippi Langstrumpf Video gucken zu dürfen.

Leonie ruft nur „bye bye“und verschwindet vom Frühstückstisch direkt in die Sandkiste. Irgendwann taucht sie dann von Hunden zerkratzt, von Lehm verschmiert und bestens gelaunt wieder auf. Ihre große Schwester trägt sie nicht auf dem Rücken. Die muß auch kein Wasser vom Fluß holen und im schweren Eimer auf dem Kopf nach Hause balancieren. Aber beide haben auch nicht das Vergnügen eines Trommeltanzes auf dem gestampften Kuhdung im Rundhaus.

Dafür bringen sie Umtata zum Lachen, wenn sie im Kindersitz mit ihrem strampelnden Vater den Berg hochkommen. Was wäre schon komischer als diese drei Weißnasen auf einem einzigen Fahrrad, wenn sie sich wieder bergab neben der rasenden Seifenkiste in die scharfe Rechtskurve legen? Eltern sind manchmal glücklich in Umtata. Dirk Asendorpf