■ Sind die „15 Sonnenblumen“ von Vincent van Gogh nun echt oder doch nur eine Fälschung? Der Streit um den wahren Ursprung der dem Niederländer zugeschriebenen Werke flammt von neuem auf Von Stefan Koldehoff
: Bestenfalls mäßig begabte Kopisten

Schon der holländische Maler Vincent van Gogh selbst stellte von dem Werk mit den Sonnenblumen mehrere Varianten und Kopien her. Das Bild mit den 15 Sonnenblumen ist das teuerste von allen. Für rund 72 Millionen Mark wechselte das Kunstwerk vor einigen Jahren den Besitzer. Jetzt sind erneut Zweifel an der Authentizität des Bildes geäußert worden. Doch auch die neuen Beweise für eine Fälschung sind nicht stichhaltig.

Sind sie wirklich echt? Die „15 Sonnenblumen vor gelbgrünem Hintergrund“ tauchen regelmäßig in den Schlagzeilen auf, wenn es um die Frage geht, wie viele und welche der rund 800 Gemälde und 1.400 Zeichnungen von Vincent van Gogh tatsächlich einen anderen Schöpfer haben dürften. Daß es Kopien gibt, hat das Amsterdamer „Van Gogh Research Project“ schon angekündigt. Die „Sonnenblumen“, die 1987 das von einem japanischen Versicherungskonzern unterhaltene Seiji Memorial Yasuda Kasal Museum in Tokio für rund 72 Millionen Mark bei Christie's in London erwarb, werden von den unabhängigen Experten bislang aber nicht genannt.

Dabei bietet sich gerade dieses Gemälde für Mutmaßungen an: Als einzige der bekannten Sonnenblumen-Versionen ist die in Tokio weder signiert noch in den Briefen van Goghs erwähnt. Vier Sonnenblumenbilder malte Vincent van Gogh im August 1888 als Dekoration für den Raum, den er im „Gelben Haus“ in Arles für Paul Gaugin vorbereitet hatte. Als der befreundete Maler ihn darum bat, zwei Werke behalten zu dürfen, kopierte van Gogh vorher die beiden Gemälde für sich, wie er seinem Bruder Theo in Paris berichtete. Das Yasuda-Bild gilt als eine zusätzliche dritte Kopie.

Die britische Journalistin Geraldine Norman hat nun in einem vom Londoner Sender Channel four ausgestrahlten Film und in einem Beitrag für die Sunday Times behauptet, sie habe neue Beweise dafür gefunden, daß die Yasuda-Sonnenblumen nicht von van Gogh stammen können. Ihre Thesen wurden, wie immer, wenn es um mögliche Van-Gogh-Fehlzuschreibungen geht, begierig aufgegriffen. Tatsächlich enthält der Beitrag keine neuen Erkenntnisse. Was Geraldine Norman als „neue Beweise“ lieferte, ist seit langem schon bekannt und zum Teil sogar längst widerlegt worden.

Zentrale Figuren ihrer Fälschungstheorie sind einmal mehr die Brüder Claude- Emile und Amédée Schuffenecker. Claude-Emile Schuffenecker hatte gemeinsam mit dem befreundeten Paul Gauguin, zu dessen frühesten Sammlern er zählte, die Börsenfirma Bertin verlassen, um Maler zu werden. Sein Bruder Amédée verdiente seinen Unterhalt zunächst als Wein-, später als Kunsthändler. Ihr wahrscheinlich sogar schwunghafter Handel mit Fälschungen ist schon seit längerem bekannt und keinesfalls, wie von Geraldine Norman behauptet, eine neue Erkenntnis. Erst im Juli veröffentlichte die Schuffenecker-Expertin und Autorin seines Werkverzeichnisses, Jill-Elyse Grossvogel, im Fachblatt Le Journal des Arts einen umfangreichen Beitrag über die zweifelhaften Geschäfte des Bruderpaares.

Danach kann beispielsweise als sicher gelten, daß die Schuffeneckers auf einer Kopie des berühmten Van-Gogh-Selbstporträts für Gauguin, heute im Fogg Art Museum der Havard University in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts, die Signatur der jungen Kopistin Judith Gérard entfernten, um das Werk 1911 als echten van Gogh über die befreundete Galerie Druet dem Berliner Sammler Paul von Mendelssohn-Bartholdy zu verkaufen.

Daß der zeichnerisch durchaus talentierte Emile Schuffenecker als Kopist bestenfalls mäßig begabt war, belegt eine von ihm stammende Zweitversion des „Selbstporträts mit verbundenem Ohr“ Vincent van Goghs, die im Amsterdamer Van- Gogh-Museum aufbewahrt wird. Den Schluß, auch bei dem Bild mit den Sonnenblumen könne es sich um eine Schuffenecker-Fälschung handeln, läßt die Qualität dieser Kopie jedoch kaum zu.

Seit mehreren Jahren sind zudem von Norman als in Amsterdam unter Verschluß gehalten bezeichnete Dokumente bekannt, die darauf hinweisen, daß Schuffenecker das fragliche Sonnenblumenbild bereits 1894 direkt aus dem Van- Gogh-Nachlaß erworben hatte. Vincent van Gogh hatte noch zu Lebzeiten regelmäßig Werkkonvolute aus Südfrankreich als Gegenleistung für dessen finanzielle Unterstützung an seinen Bruder Theo nach Paris geschickt. Als Theo sechs Monate nach seinem Bruder ebenfalls starb, wurde der Nachlaß bis April 1894 im Laden des Farbenhändlers Julien „Pere“ Tanguy in der Pariser Rue Clauzel deponiert, den dessen Witwe nach dem Tod ihres Mannes schließen mußte. Roland Dorn zitiert in seinem Buch „Décoration – Vincent van Goghs Werkreihe für das Gelbe Haus in Arles“ einen Brief Schuffeneckers an Johanna van Gogh, in dem dieser am 7. März 1894 „300 fcs pour les fleurs“ anbot. In einem Brief, in dem daraufhin Madame Tanguy gegenüber Johannas Bruder Andries Bonger den Preis als zu niedrig einordnete, werden die „Blumen“ konkret als „Sonnenblumen“ genannt.

Daß der Kauf danach zustande kam, bezweifeln die Anhänger der Schuffenecker- Theorie. Sie vertreten die Meinung, bei dem von Schuffenecker angekauften Bild handele es sich um die heute in Philadelphia befindliche Fassung der Sonnenblumen. Ausgestellt wurden beide Gemälde zum ersten Mal 1901 in der ersten großen Van-Gogh-Ausstellung, die Julien Leclerq für die Galerie Berheim-Jeune in Paris organisierte.

Geraldine Norman, die trotz der Tanguy-Briefe von 1894 die Berheim-Jeune- Ausstellung als „das erste Auftauchen des Yasuda-Bildes“ bezeichnet, zitiert in diesem Zusammehang Julien Leclerqs Nachbarin, die junge Malerin Judith Gérard, die sich in ihren Memoiren erinnerte, Leclerq habe vor der Ausstellung 1901 „Schuffenecker dazugeholt, der an einer der Schulen in der Stadt Zeichnen lehrte. Er kam gegen ein geringes Honorar jeden Tag mit einer großen Schachtel Farben, um die Löcher und Fehlstellen (auf den Gemälden) abzudecken“. Bald schon seien Schuffenecker und Leclerq auf die Idee gekommen, van Goghs Gemälde, die ihnen unvollendet erschienen, zu verbessern. In dieser Zeit habe Schuffenecker Gelegenheit gehabt, das von Johanna van Gogh ebenfalls frühzeitig an Leclerq ausgeliehene, heute in London befindliche Sonnenblumenbild zu kopieren.

Tatsächlich weisen auch die Yasuda- Sonnenblumen starke Retuschen auf. Roland Dorn wies nach, daß an die grobe Leinwand an allen vier Seiten Zusatzstücke aus feinerem Material angesetzt wurden. Die dadurch notwendige Ergänzung des Hintergrundes und die Nahtstellen sind bis heute mit bloßem Auge sichtbar. Auf diese Weise läßt sich das von van Goghs anderen Sonnenblumenbildern abweichende Format erklären.

Dafür aber, daß das gesamte Gemälde von Schuffenecker gemalt wurde, gibt es nach wie vor keinen Beleg. Im Gegenteil. Die Formatveränderung spricht sogar gegen eine Fälschung, denn es wäre wenig logisch anzunehmen, Schuffenecker habe das Bild gezielt für die Ausstellung von 1901 gefälscht, dabei aber durch zu enge Ränder Platz für eine notwendige Rahmung vergessen. Viel wahrscheinlicher ist da schon, daß Schuffenecker gemeinsam mit Leclerq entschied, das Bild einfach zu vergrößern, um es für die Ausstellung repräsentativ rahmen zu können.

Die Journalistin Geraldine Norman beschließt ihren Beitrag mit dem süffisanten Hinweis darauf, daß ausgerechnet „Yasuda Fire & Marine Insurance Company“, in deren Firmenmuseum die „Sonnenblumen“ hinter Panzerglas hängen, dem Van- Gogh-Museum 1991 die Summe von 37,5 Millionen Gulden für einen dringend benötigten Museumsanbau gestiftet hat: „Überflüssig darauf hinzuweisen, daß das Museum über die Echtheit des Gemäldes keinen Kommentar abgeben wird.“ Der Glaubenskrieg um die „Sonnenblumen“ verläuft inzwischen bedauerlicherweise überwiegend auf diesem Niveau. Die nüchterne Quellenlage hingegen weist darauf hin, daß die Yasuda-Sonnenblumen nicht erst 1901 scheinbar aus dem Nichts auftauchen. Ihre Herkunft scheint sich bis zum Nachlaß Vincent van Goghs zurückverfolgen zu lassen.

Solange es nicht gelingt, schlüssige Beweise gegen diese Annahme vorzulegen, müssen alle Behauptungen, bei den Yasuda-Sonnenblumen handele es sich um eine Fälschung Emile Schuffeneckers, als unbelegte Vermutung gelten. Solange liegen auch dem Auktionshaus Christie's, wie von Geraldine Norman zitiert, keine Gründe vor, „unsere ursprüngliche Meinung zu ändern, daß die Sonnenblumen ein authentisches Werk von van Gogh sind“.