Finsternis vor dem Lichtelfest

Die Bundeswehr ist ein Wirtschaftsfaktor im sächsischen Schneeberg. Da kommt der Skandal um rassistische Videos aus der Jägerkaserne denkbar ungelegen. Der Stadtrat mußte eine Sondersitzung einberufen  ■ Aus Schneeberg Jens Rübsam

Und das ausgerechnet vor dem Lichtelfest.

Gerd Bachmann verschwindet zwischen Bretterbuden, siebenundzwanzig stehen schon auf dem Schneeberger Marktplatz, ein paar müssen noch aufgebaut werden, dafür ist ABM-Kraft Bachmann mit zuständig. Auch dafür, daß eine große Fichte vors Rathaus kommt und daß viele kleine Weihnachtsbäume rund um die Bretterbuden plaziert werden. In gut drei Wochen ist Lichtelfest, der Höhepunkt des Weihnachtsmarktes in der sächsischen Bergstadt. 100.000 Besucher kamen in den vergangenen Jahren. Da war die Welt noch halbwegs in Ordnung.

Gut, ein kleiner Skandal anläßlich des Bergmannstages 1996. Ein Volkstheaterstück aus der Zeit des Dritten Reiches sollte aufgeführt werden. Die Aufregung war groß. Das Stück wurde dennoch aufgeführt. In ihrer etwas behäbigen Art haben die Erzgebirgler das ausgesessen. Jetzt aber ist Schneeberg wegen Horrorvideos mit rassistischen und antisemitischen Szenen, gedreht in der hiesigen Bundeswehrkaserne, im Gerede. Und das ausgerechnet vor dem Lichtelfest.

„Das legt sich alles“, sagt Gerd Bachmann und spielt mit den Nägeln in den Händen. Zeit hat er eigentlich nicht. Die Bretterbude, die achtundzwanzigste, muß aufgebaut werden. Und was soll er auch zu der Sache sagen? „Im Keim ersticken“ müsse man den Rechtsradikalismus in der Bundeswehr. Klar. Früher wären solche Leute in den Stasiknast gekommen. Na klar. Aber jetzt müsse er weiterarbeiten. Bald ist Lichtelfest.

Der ehemalige Rundfunkmechaniker Gerd Bachmann ist froh, wieder Arbeit zu haben, auch wenn es nur eine ABM-Stelle ist. Nur 50 Prozent der rund 19.000 Schneeberger sind auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt beschäftigt. In der Region pendelt die Arbeitslosenquote zwischen 17 und 23 Prozent. Da kommt die Sache mit den Horrorvideos äußerst ungelegen.

Die Bundeswehr, unterstreicht Bürgermeister Frieder Stimpel (CDU), ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Stadt – und einem Wirtschaftsfaktor tut man nicht weh. Stimpel nennt Zahlen: 88 Firmen aus der Umgebung verdienen an der Bundeswehr. 130 Bedienstete aus der Bevölkerung arbeiten in der Jägerkaserne. 600 längerdienende Soldaten sind hier beschäftigt, 250 haben Familie.

Mitte Oktober hatten die Schneeberger im Fernsehen mit ansehen müssen, wie ihre Stadt in Verruf geriet. Videos aus dem Gebirgsjägerbataillon 571 waren aufgetaucht, auf denen zu sehen war, wie Soldaten, unter Aufsicht von Vorgesetzten, die Hand zum Hitler- und zum Kühnen-Gruß hoben, sich mit „Herr Sturmbannführer“ anredeten, ein „Interview zur Judenvernichtung“ führten und sich gegenseitig an Spinde klatschten mit dem Kommentar: „Das macht man mit Zecken.“ Die Soldaten trugen T-Shirts mit rechtsextremistischen Aufschriften, im Hintergrund lief Musik rechtsradikaler Bands.

Ein ehemaliger Soldat sagte aus, in die Kaserne seien verbotene NS-Bücher und Hakenkreuzfahnen geliefert worden. Damit war innerhalb kürzester Zeit das Gebirsjägerbataillon 571 zum zweitenmal im Gespräch. Das erstemal war es Anfang Juli gewesen, als skandalöse Videos auftauchten. Die Bilder stammten zwar aus dem bayrischen Hammelburg; die Soldaten aber, die dort zum Ifor-Einsatz ausgebildet wurden, kamen aus Schneeberg. Auf dem Band war zu sehen, wie sie sich gegenseitig „hinrichteten“ und Vergewaltigungsszenen nachstellten.

Damals noch hatten sich Stadt und Landkreis erfolgreich gewehrt, die Problematik zu thematisieren. PDS und Grüne forderten eine Sondersitzung des Kreistages Aue-Schwarzenberg, die wurde jedoch vom CDU-Landrat abgeblockt mit dem Hinweis, er sei „nicht zuständig“. Nicht zuständig fühlte sich auch die CDU-dominierte Schneeberger Stadtverordnetenversammlung.

In der Stadt ist es kein Geheimnis, daß Bürgermeister Stimpel und Oberstleutnant Schraut gute Freunde sind. Stimpel verweist darauf, daß die Videos vor drei Jahren gedreht wurden und nichts mit dem Heute zu tun hätten; Schraut nennt die jugendlichen Filmer „acht Spinner“, gut, auch zwei höhere Dienstgrade seien beteiligt gewesen. Gegen alle Beteiligten seien sofort Strafverfahren eingeleitet worden. Stimpel will noch anmerken, daß in der Zwischenzeit 3.500 Soldaten in der Jägerkaserne ausgebildet wurden, keineswegs zu Rechtsradikalen. Schraut will noch sagen, die Jägerkaserne habe innerhalb der Bundeswehr einen guten Ruf, dies sei ihm erst dieser Tage wieder bescheinigt worden. Der Divisionskommandeur war gerade zu Besuch.

Die Schneeberger stapeln derweil erzgebirgische Volkskunst hinter die Fensterscheiben: Pyramiden, Räuchermännchen, Nußknacker und Schwibbögen. Spitzenstübl, Schnitzstübl und Trachtenstübl sind hell erleuchtet und ausgeschmückt. Bäcker Schneider hat schon mal angefangen, Stollen zu backen. Und Gerd Bachmann taucht noch immer ab zwischen den Bretterbuden am Marktplatz. Das Lichtelfest.

Im Kulturzentrum „Goldene Sonne“ verliert sich PDS-Mann Erich Mehlhorn zwischen leeren Stuhlreihen. PDS, Grüne und SPD haben zu einer Veranstaltung „Gegen die Finsternis“ geladen. Kaum mehr als dreißig Leute sind gekommen. Und das sind überwiegend auch noch Parteimitglieder. „Die Leute haben sich ihre Gartenzwergwelt aufgebaut“, kommentiert Mehlhorn. Für Uwe Kaettniß von den Grünen ist es wichtig, ein Signal zu setzen, daß es hier auch Menschen gibt, die sich mit Rechtsradikalimus auseinandersetzen. Erst kürzlich hatte der evangelische Pfarrer Frank Meinel in einem Interview den Erzgebirgler an sich als „gemütlich und einen, der sich nicht groß für Politik interessiert“ bezeichnet.

Daß er nicht ganz unrecht hat, zeigt sich einen Tag später bei der Sondersitzung des Stadtrates, die PDS und die Fraktionsgemeinschaft SPD/Grüne erzwungen haben. Wenige Schneeberger, einige Soldaten und Höherrangige der Bundeswehr auf den Plätzen, Oberstleutnant Schraut neben Bürgermeister Stimpel im Präsidium. Vor der Sitzung hat Stimpel gesagt, nicht die Bundeswehr und auch nicht Rechtsradikale – die gebe es hier nämlich nicht – machten ihm Sorgen, sondern die Sekten, die sich in der Region rumtreiben. „Wir haben mit Saddanismus zu tun.“ Dann nahm er Platz neben Oberstleutnant Schraut und eröffnete die Sitzung. Daß noch 1990 die CDU einen Sternmarsch zum Kasernengelände organisierte und für den Abzug der Truppen plädierte, davon will Stimpel nichts mehr wissen. Er weiß, wie wichtig die Bundeswehr für die gebeutelte Region ist. Das belegt er jetzt jedem, der für die Abschaffung des Standortes ist, mit konkreten Zahlen.

Erstmals öffentlich nimmt Oberstleutnant Schraut vor den Stadtverordneten Stellung zu den Vorfällen in seiner Kaserne. Wie es dazu kommen konnte? Die Videos seien am Wochenende gedreht worden, zu einer Zeit also, da nur wenige Vorgesetzte in der Kaserne gewesen seien. Und da die Vorgesetzen, ein Oberstleutnant und ein Hauptfeldwebel, einer aus Hessen, einer aus Bayern, mitgemacht hätten, habe das passieren können. Noch Fragen? CDUler Roland Böhm steht auf und ergeift das Wort. „Wir sind froh und dankbar, daß wir diesen Standort haben.“ Böhm, sagt ein Zuhörer leise, habe eine Reinigungsfirma, tätig auch in der Jägerkaserne.