Fenster, immer und überall

Vernarrt in Americana, der Satire fern: Wim Wenders' Film „Am Ende der Gewalt“, neu geschnitten, für treue Freunde des Kinos über das Kino  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Das Kino, das Scheitern und der Parkplatz in L. A. bei Nacht – irgendwie kommt einem das vertraut vor. Auch im neuesten Film von Wim Wenders wird einer Produktion der Geldhahn abgedreht. Allerdings ist dieses Mal, anders als beim „Stand der Dinge“, der Produzent der Knecht von Banken und Anwälten, und nicht der Regisseur der Knecht des Produzenten. Da kann man mal sehen, wie Positionen des Autorenkinos preisgegeben werden!

Aber Spaß beiseite: Nicht weniger penetrant als in „Paris, Texas“ versucht Wenders, sich in Bilder des amerikanischen Westens einzufühlen. Als da dieses Mal wären: die unüberschaubare Stadt Los Angeles, das FBI, der Gangster- Rapper und die Filmindustrie.

„Am Ende der Gewalt“ anzugelangen meint hier die Phantasie führender Polizisten, die großen Städte mit beweglichen Kameras rund um die Uhr zu überwachen, um „das Verbrechen unter Kontrolle“ zu bekommen. Testweise ist das in Wenders' City schon vollzogen: Die Videobilder werden in den Ersatzhimmel einer Sternwarte übertragen. Der Ingenieur Ray, der die Sache dort top-secretmäßig bis zur Einsatzreife bringen soll, ist aber ein Verräter.

Gegen seinen Willen verstrickt: Mike Max, ein Hollywoodproduzent, der die Überwachungsakte in seine E-Mail-Post gestellt bekommt und folglich zum Mitwisser wird. Seine Exekutierung wird einem Team anvertraut, das das Verbrecherpaar aus „Fargo“ (mit mäßigem Erfolg) parodiert. Folglich – Max ist ja so schlau! – werden die Verbrecher tot aufgefunden, und Mike Max bleibt verschollen. Jedenfalls für seine Ehefrau und für das FBI. Genüßlich begleitet ihn die Regie, wie Max sich von Latinos auf den Freeways herumfahren läßt, als Gärtner verkleidet das Herbstlaub von den wertvollen Rasen in Beverly Hills pustet und die Filmarbeiten seiner jüngsten Produktion bespitzelt – genauso wie seine Ehefrau beim Geschlechtsverkehr mit dem Rapper. Zum Glück gibt es immer überall Fenster zum Hineingucken.

In seiner Symbolik ist Wenders nicht gerade erfinderisch. Reichtum ist gleich große Autos, todschicke Elektronik und Personal. Bullen ist gleich „der Chef trägt Glatze“, der Schlaue Zivil und die „Ferner liefen“ Uniform.

Auf der einen Seite die Affirmation des Kanons, auf der anderen Seite der große Flattermann. Weder stellt sich Wenders den psychologischen Zwängen einer einmal begonnenen Erzählung, noch hintertreibt er nachvollziehbar eine vertraute Form. Kein Wunder, daß er den Film nach heftiger Kritik in Cannes neu geschnitten hat. Man könnte diesen Film ganz ohne Gewalt weiterschneiden, bis der Trailer übrigbliebe.

Geradezu grotesk die letzte Begegnung zwischen Ehemann und Ehefrau. Mike Max (guter Name, nä?) ist im Schatten der Nacht zurückgekehrt. Sie hält eine Pistole auf den Eindringling, den sie aber sogleich als ihren Angetrauten erkennt. Und während die beiden sich unterhalten – immerhin regeln sie die finanziellen Details einer Scheidung –, bleibt die Pistole auf ihn gerichtet. Die Szene wäre ohne Waffe vielleicht auch kein Glanzstück geworden; in dieser Fassung ist sie eine Albernheit.

Makaber auch, wenn die deutsche Promotionfirma verkündet, der Film sei mit nur fünf Millionen Dollar gedreht worden, aber Mike Max aus dem Off von seinem „Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen“ spricht. Großes Geld und große Politik: Wenders kriegt sie nicht zu packen.

Und weil er es ahnt, bedient er ohne Hemmung das Klischee der Gegenwelt, wonach Mexikaner gute Menschen sind, weil sie arm sind, und schwarze junge Frauen ergreifende Gedichte sprechen, in denen sie von ihren Vätern vergewaltigt werden, was sie ihnen aber „manchmal verzeihen“. Und so weiter. Wim Wenders erscheint wie gelähmt als ewiger Sympathisant des großen Schweigers. Der liebt verquer und vergeblich, denkt über seine Existenz nach und erkennt haarscharf die Verkommenheit der Welt. Die Identifikation mit diesem Mann soll uns aufgezwungen werden.

Dazu paßt auch der Blick auf Frauen. Frauen sind Wesen mit langen Haaren, die ihre Körper als passive Waffen nutzen, der ewige Schlund. Sie haben keine eigenen Pläne, oder wenn sie welche haben, reicht ein Halbsatz, um sie darzustellen.

Es wird überall ein bißchen geklaut: bei dem Aussteigerdrama „Falling Down“, bei der Emanzipationsfarce „Blow Up“, bei der Produzentensatire „The Player“ und bei der eigenen Filmemachertragödie „Stand der Dinge“, zwanzig Jahre her. Wenders versucht, die Genrewahl zu umgehen, mit dem Ziel, alle Klischees zu durchkreuzen, und kommt dabei heraus, daß er jedes bedient. Er gibt vor zu zeigen, wie Einsicht entsteht. Tatsächlich montiert er ein halbes Dutzend altkluger – männlicher – Figuren, die weit davon entfernt sind, bis zur Charakterreife beobachtet zu werden.

Endgültig verschenkt ist die Figur des Regisseurs (des Films im Film), der mit schnarrendem deutschen Akzent laut über das Filmemachen in Europa und das Filmemachen in Amerika nachdenkt. Das Cinemascopeformat allerdings füllen Wenders und sein Kameramann Rabaud mit makelloser Routine. Handwerklich gehen die zwei Stunden gut über die Bühne.

Die Fabel vom Filmemachen ist inzwischen das Lästigste an Wenders' Filmen, nicht weil „Selbstreflexion“ passé wäre, sondern weil er damit wichtige Themen in Weihrauch schwenkt, die eine scharfe Betrachtung verdienten.

Das Modell totaler Überwachung schreit nach politischer Satire. Wenders, vernarrt in seine Americana, füllt statt dessen liebevoll das US-Klischee des Deutschen: ohne Esprit, kein Humor, nix Bonmots und selbstredend ohne Kalauer. Ridicule! Die Ministranten des Kinos über das Kino werden es ihm danken.

„Am Ende der Gewalt“. Regie: Wim Wenders. Drehbuch: Nicholas Klein. Mit Bill Pullman als Mike Max, Andie Mac Dowell als seine Frau, Gabriel Byrne als Ray und Tracy Lind als Blondine nach Maß. Cinemascope, 122 Min.